Der Schattengaenger
verschwendet.
Eine Weile hatte er im Arbeitszimmer ausgeharrt und den unverschämten Geräuschen gelauscht, die sie unten veranstaltete. Noch hätte er leicht durch die Balkontür des Schlafzimmers verschwinden können. Doch dann war die Wut in ihm explodiert.
Wie konnte diese alte Schachtel es wagen, sich in diesen Räumen so aufzuspielen? Als wäre die Mühle mit allem, was dazugehörte, ihr Besitz. Als hätte sie einen Anspruch darauf. Dabei war jeder einzelne Gegenstand in diesem Haus heilig. Weil jeder Gegenstand Teil von Imke Thalheim war.
Die Wut, die er spürte, war anders als der Zorn, den er wegen Imke Thalheims Flucht empfand. Die Wut war rot, heiß, heftig und grob.
Der Zorn auf Imke Thalheim reichte tiefer. Er war kalt und beherrscht.
Imke war seine Frau. Sie hatte ihn enttäuscht.
Und dafür würde er sie bestrafen.
Doch dazu musste er zuerst herausfinden, wo sie sich versteckte. Zögernd hatte er begonnen, Papiere vom Schreibtisch aufzuheben und durchzusehen, in Büchern zu blättern, Ordner aufzuschlagen. Die da unten, hatte er sich gesagt, machte Lärm für zwei, die würde nichts bemerken. Er hatte Schranktüren geöffnet, Schubladen herausgezogen und Büchertaschen durchwühlt.
Nichts.
Imke Thalheim musste Hals über Kopf aufgebrochen sein. Sie hatte sich nicht einmal Zeit gelassen, um ein bisschen Ordnung zu schaffen. Das also war ihre Reaktion auf seine Liebeserklärung gewesen. Auf die Rosenblätter und sein tausendfaches Du.
Hatte sie überhaupt eine Vorstellung von dem Ausmaß seiner Liebe zu ihr? War sie sich der Tatsache bewusst, dass es keine zweite Frau auf dem gesamten Erdball gab, die so vergöttert wurde?
Er war bereit, ihr die Welt zu Füßen zu legen. Und alles, was er dafür erwartete, war, dass sie seine Liebe erwiderte.
Aber sie war geflohen. Vor ihm …
Wie hatte sie ihm das antun können? Er spürte die Wut jetzt überall. Und den Zorn. Ihm blieb die Luft weg. Seine Haut brannte, als hätte sie Feuer gefangen. Mit einer einzigen Bewegung seines Arms fegte er Manuskripte, Briefe, Notizen vom Schreibtisch. Es machte erstaunlich wenig Lärm, aber selbst wenn, es wäre ihm gleichgültig gewesen. Er würde sich nicht wie ein Dieb davonstehlen - er würde aufrecht die Treppe hinuntergehen.
Manuel hörte auf zu denken. Sein Kopf wurde klar und kühl. Er stieg die Treppe hinunter, Stufe um Stufe, und fühlte sich sonderbar. Er musste an eine dieser lebensgroßen Puppen denken, die manchmal ohne Kleidung, nackt und kahl in den Schaufenstern stehen. Für einen Moment war nichts Menschliches mehr in ihm. Er war so leer, dass ihm vor Kälte die Zähne klapperten.
Die Frau blickte auf und erstarrte. Er ging unbeirrt auf sie zu. Der Boden war nass und rutschig, doch seine Schritte waren sicher und fest.
»Was tun Sie hier?«, wagte sie, ihn zu fragen.
Er mochte ihre Stimme nicht. Sie klang brüchig und matt, als wäre vor langer Zeit etwas in ihr erloschen. Er antwortete nicht.
Sie lehnte den Schrubber gegen die Wand und strich sich mit feuchten Fingern das Haar aus der Stirn. Er sah, dass sie schwitzte. Sie lief nicht weg.
»Wo ist sie?«, fragte er.
»Frau Thalheim hat mir nicht verraten …«
»Wo?«
In diesem Augenblick schien etwas in ihr vorzugehen. Mit einer Behändigkeit, die er ihr nicht zugetraut hätte, schlüpfte sie an ihm vorbei und rannte auf die Haustür zu. Manuel erwischte sie im letzten Moment. Er packte sie am Arm und riss sie zurück.
Erst da hatte sie angefangen zu schreien.
Er hielt sie fest und seine Gedanken rasten. Sie hatte ihn gesehen, kannte sein Gesicht. Sein schöner Plan war gründlich aus dem Ruder gelaufen. Die Ausweglosigkeit überwältigte ihn.
»Wo?«
Er schüttelte sie, zwang sie, ihn anzusehen. Ein scharfer, säuerlicher Schweißgeruch stieg ihm in die Nase, vollgesogen mit Angst.
Sie wand sich in seinen Armen. Versuchte, ihn zu beißen. Er schlug ihr ins Gesicht. Sie taumelte zur Seite und wäre fast gestürzt. Mit ihren dicken roten Fingern hielt sie sich die Wange und starrte ihn an.
Ihn nicht aus den Augen lassend, wich sie vor ihm zurück, und Manuel folgte ihr. Quer durch die große Halle, für deren Schönheit diese schwitzende, klobige Frau eine einzige Beleidigung war.
»Wo?«
»Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. Sie saß in der Falle und sie wusste es. Sie war jetzt nur noch wenige Meter von der Kellertür entfernt, die aus irgendeinem Grund weit offen stand.
Ihre Verzweiflung
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