Der Schattenprinz
arbeitete Tenaka weiter. Er lauschte den Weisen, so daß er Kriege und Schlachten aus einer anderen Sicht erfuhr, und sein scharfer Verstand sog alle Lektionen auf.
Eines Tages würden sie ihn respektieren. Wenn er nur Geduld hatte.
Aber er war zurück nach Hause in die Zeltstadt gekommen und hatte seine Mutter neben Jongir stehen sehen. Sie weinte. Und da wußte er Bescheid.
Er sprang aus dem Sattel und verbeugte sich vor dem Khan, wie es sich gehörte, ohne seine Mutter zu beachten.
»Es ist Zeit für dich, nach Hause zu gehen«, sagte Jongir. Er sagte nichts, nickte nur.
»Sie haben im Drachen für dich einen Platz. Es ist dein Recht als Sohn eines Grafen.« Der Khan fühlte sich sichtlich unbehaglich und blickte Tena-ka nicht in die Augen. »Na, sag schon etwas«, fuhr er ihn an.
»Wie du es wünschst, Herr, so soll es geschehen.«
»Du flehst mich nicht an, bleiben zu dürfen?«
»Wenn du es von mir verlangst.«
»Ich verlange gar nichts von dir.«
»Wann soll ich aufbrechen?«
»Morgen. Du wirst eine Eskorte bekommen -zwanzig Reiter, so wie es meinem Enkel zusteht.«
»Du ehrst mich, Herr.«
Der Khan nickte, warf Shillat einen Blick zu und ging davon. Shillat öffnete die Zeltklappe, und Te-naka trat in ihr Heim. Sie folgte ihm, und sobald sie drinnen waren, drehte er sich um und nahm sie in die Arme.
»O Tani«, flüsterte sie unter Tränen. »Was mußt du noch alles tun?«
»Vielleicht werde ich in Dros Delnoch wirklich zu Hause sein«, sagte er. Aber die Hoffnung erstarb in ihm, noch während er die Worte aussprach, denn er war kein Narr.
Tenaka erwachte, weil der Sturm heulte und an den Fensterläden rüttelte. Er streckte sich und warf einen Blick auf das Feuer - es war bis auf ein paar glühende Kohlen heruntergebrannt. Das Mädchen schlief im Sessel, ihr Atem ging tief und gleichmäßig. Tenaka stand auf und ging zum Feuer, legte Holz nach und entfachte es vorsichtig wieder. Er schaute sich den alten Mann an - seine Farbe sah nicht gut aus. Tenaka zuckte die Achseln und verließ das Zimmer. Der Flur war eiskalt, die hölzernen Dielen knackten unter seinen Stiefeln. Er ging in die alte Küche und zum Brunnen. Es war schwer zu pumpen, doch er genoß die Anstrengung und wurde belohnt, als das Wasser in den Holzeimer strömte. Dann streifte er die dunkle Weste und die grauwollene Tunika ab, wusch sich den Oberkörper und erfreute sich an der fast schmerzhaften Kälte, als das eisige Wasser seine schlafwarme Haut berührte.
Tenaka zog sich aus und ging in den Turnsaal. Dort wirbelte und sprang er, landete leichtfüßig und ließ erst seine rechte, dann seine linke Hand durch die Luft sausen. Er rollte sich auf den Boden, bog den Rücken durch und sprang wieder auf die Füße.
Von der Tür her beobachtete Renya ihn aus den Schatten des Flurs. Sie war fasziniert. Er bewegte sich wie ein Tänzer, doch es lag etwas Barbarisches über der Szene: ein ursprüngliches Element, das gleichzeitig schön und tödlich war. Seine Hände und Füße waren Waffen, die blitzschnell unsichtbare Gegner töteten, doch sein Gesicht war nüchtern und bar jeden Ausdrucks.
Sie schauderte und hätte sich gern in die Sicherheit seines Zimmers zurückgezogen, doch sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Seine Haut hatte die Farbe von Gold in der Sonne, weich und warm, doch die Muskeln darunter bewegten sich und spielten wie Silberstahl. Sie schloß die Augen, stolperte rückwärts und wünschte, sie hätte ihn nie gesehen.
Tenaka wusch sich den Schweiß vom Körper und zog sich dann rasch an. Hunger nagte an ihm. Zurück auf seinem Zimmer, spürte er die Veränderung der Atmosphäre. Renya mied seinen Blick, als sie bei dem alten Mann saß und ihm über das Haar strich.
»Der Sturm läßt nach«, sagte Tenaka.
»Ja.«
»Was ist los?«
»Nichts … nur, daß Aulin unregelmäßig atmet. Was meinst du, wird er wieder gesund?«
Tenaka ging zu ihr. Er nahm das dünne Handgelenk des alten Mannes und fühlte nach dem Puls. Er war schwach und unregelmäßig.
»Wann hat er das letzte Mal etwas gegessen?«
»Vor zwei Tagen.«
Tenaka suchte in seinem Gepäck und brachte einen Beutel mit getrocknetem Fleisch und einen kleineren mit Haferflocken zum Vorschein. »Ich wünschte, ich hätte Zucker«, sagte er, »aber das hier muß es auch tun. Geh und hol Wasser und einen Kochtopf.«
Ohne ein Wort verließ Renya den Raum. Tenaka lächelte. Das war es also - sie hatte ihn beim Üben beobachtet, und aus irgendeinem
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