Der Schatz im Silbersee
meine Faust. Wollt Ihr sie haben?«
Er bog sich im Sattel zu dem Offizier herüber und holte mit der geballten Faust wie zum Schlage aus; dieser aber wich schnell zurück und rief: »Ich danke, Sir, ich danke! Da will ich Euch doch lieber Glauben schenken, ohne diesen Beweis abzuwarten. Ich habe nur diesen einen Schädel und wüßte nicht, woher ich, falls er mir zerschlagen würde, einen andern nehmen sollte. Verzeiht, daß ich vorhin nicht sehr höflich gewesen bin! Wir haben alle Veranlassung, gewissen Leuten scharf in das Gesicht zu sehen. Wollt Ihr nicht die Güte haben, uns zu begleiten? Meine Kameraden würden sich nicht nur sehr darüber freuen, sondern es als eine Ehre für sich betrachten, wenn es Euch gefiele, unser Gast zu sein.«
»Wohin?«
»Nach Fort Mormon, wohin wir wollen.«
»Da kann ich Eurer Einladung leider nicht Folge leisten, denn wir müssen nach der entgegengesetzten Richtung, um zu einer bestimmten Stunde mit Freunden zusammenzutreffen.«
»Das thut mir aufrichtig leid. Darf ich fragen, wohin Ihr wollt, Sir?«
»Zunächst nach den Elk Mountains, wie ich Euch schon gesagt habe; von da wollen wir dann nach den Book Mountains hinüber.«
»So muß ich Euch warnen,« meinte der Offizier, welcher jetzt einen so rücksichtsvollen Ton angeschlagen hatte, als ob er vor einem hohen Vorgesetzten stehe.
»Warum? Vor was oder wem?«
»Vor den Roten.«
»Danke! Ich habe die Indianer nicht zu fürchten. Überdies wüßte ich nicht, welche Gefahr von dieser Seite drohen könnte.
Die Roten leben ja gerade jetzt in tiefem Frieden mit den Weißen, und zumal die Utahs, mit denen man es hier zu thun hat, haben seit Jahren nichts gethan, was Mißtrauen gegen sie erwecken könnte.«
»Das ist richtig; aber gerade darum sind sie jetzt desto mehr ergrimmt. Wir wissen ganz genau, daß sie seit kurzem die Kriegsbeile ausgegraben haben, und müssen infolgedessen von Mormon- und Indian-Fort aus beständig Patrouille reiten.«
»Wirklich? Davon wissen wir noch nichts.«
»Das glaube ich, denn ihr kommt aus Colorado, bis wohin die Kunde davon noch nicht gedrungen sein kann. Euer Weg führt euch mitten durch das Gebiet der Utahindianer. Ich weiß, daß der Name Old Shatterhand bei den Roten aller Nationen große Macht besitzt; aber nehmt die Sache nicht allzu leicht, Sir!
Gerade die Utahs haben alle Veranlassung, gegen die Weißen ergrimmt zu sein.«
»Warum?«
»Es ist eine Gesellschaft von weißen Goldsuchern in eins der Utahlager gebrochen, um Pferde zu rauben; es war des Nachts; aber die Utahs sind erwacht und haben sich zur Wehr gesetzt, wobei viele von ihnen von den weit besser bewaffneten Weißen getötet worden sind. Diese letztern sind mit den Pferden und andern bei dieser Gelegenheit mitgenommenen Gegenständen entkommen; doch haben sich die Roten am Morgen
aufgemacht, sie zu verfolgen. Die Räuber wurden ereilt, und es entspann sich ein Kampf, welcher abermals viele
Menschenleben gekostet hat. Es sollen dabei gegen sechzig Indianer erschossen worden, aber auch nur sechs
Bleichgesichter entkommen sein. Nun schweifen die Utahs umher, um diese sechs zu finden, und zugleich haben sie eine Gesandtschaft nach Fort Union geschickt, welche
Schadenersatz verlangen sollte, für jedes Pferd ein andres, für die verlorenen Gegenstände in Summa tausend Dollar und für jeden getöteten Indianer zwei Pferde und ein Gewehr.«
»Das finde ich nicht unbillig. Ist man auf diese Forderungen eingegangen?«
»Nein. Es fällt den Weißen gar nicht ein, den Roten die Berechtigung zu irgend einer Forderung zuzusprechen. Die Gesandtschaft ist unverrichteter Sache heimgekehrt, und infolgedessen sind die Tomahawks ausgegraben worden. Die Utahs stehen in Masse auf, und da wir hier im Territorium leider nicht genug Militär besitzen, um sie mit einem Schlage niederwerfen zu können, so hat man sich nach Verbündeten umgesehen. Es sind einige Offiziere zu den Navajos hinab, um sie gegen die Utahs zu gewinnen, und das ist auch gelungen.«
»Und was ist den Navajos für ihren Beistand geboten worden?«
»Alle Beute, welche sie machen.«
Das Gesicht Old Shatterhands verfinsterte sich, als er dies hörte. Er sagte kopfschüttelnd: »Also erst werden die Utahs überfallen, beraubt und ihrer viele getötet; als sie Bestrafung der Übelthäter und Ersatz verlangen, weist man sie ab, und nun sie die Angelegenheit in die eigenen Hände nehmen, hetzt man die Navajos gegen sie und bezahlt diese letzteren mit der Beute,
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