Der Schatz im Silbersee
ein fast mitleidiger Blick, den der Buckelige auf den Lord warf, als er antwortete: »Ein Prairiejäger und schießen! Das ist fast noch schlimmer, als ob Ihr fragt, ob ein Bär fressen könne.
Beides ist genau so selbstverständlich wie mein Buckel.«
»Möchte aber doch eine Probe sehen. Könnt ihr die Geier von da oben herunterholen?«
Humply maß die Höhe, in welcher sich die beiden Vögel wiegten, mit den Augen und antwortete. »Warum nicht? Ihr freilich würdet es uns mit Euren beiden Sonntagsflinten nicht nachmachen.«
Er deutete auf das Pferd des Lords. Die Gewehre hingen noch an den Bügelriemen; sie waren blank geputzt, so daß sie ganz wie neu aussahen, was dem Westmann ein Greuel ist.
»So schießt!« gebot der Lord, ohne auf die letzte Behauptung des Buckeligen zu achten.
Dieser stand auf, legte sein Gewehr an, zielte kurz und drückte ab. Man sah, daß der eine der Geier einen Stoß erhielt; er schlug flatternd die Flügel, suchte sich zu halten, doch vergebens; er mußte nieder, erst langsam, dann schneller; endlich zog er die Flügel an den Leib und fiel wie ein schwerer Klumpen senkrecht zur Erde nieder.
»Nun, Mylord, was sagt Ihr dazu?« fragte der kleine Schütze.
»Nicht übel,« lautete die kalte Antwort.
»Was? Nicht übel nur? Bedenkt diese Höhe, und daß die Kugel den Vogel gerade ins Leben traf, denn er war schon in der Luft tot! Jeder Kenner hätte das einen Meisterschuß genannt.«
»Well, der zweite!« nickte der Lord dem langen Jäger zu, ohne auf den Vorwurf des Kleinen einzugehen.
Gunstick-Uncle erhob sich steif vom Boden, stützte sich mit der Linken auf seine lange Rifle, erhob die Rechte wie ein Deklamierender, wendete das Auge gen Himmel zu dem zweiten Geier und sprach in pathetischem Tone: »Wandelt der Aar in Gefilden der Lüfte - blickt er herab auf die Grüfte und Schlüfte - denket mit Sehnsucht des Aases voll Düfte - ich aber schieße ihn tot in die Hüfte!«
Bei diesen improvisierten Reimen war seine Pose so steif und eckig wie diejenige eines Gliedermannes. Er hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen, desto größeren Eindruck mußte dieses herrliche Poem machen. So dachte er. Darum ließ er den erhobenen Arm sinken, wendete sich gegen den Lord und blickte diesen mit stolzer Erwartung an. Der Engländer hatte längst wieder sein dummes Gesicht angenommen; jetzt zuckte es in und auf demselben, als ob das Lachen mit dem Weinen kämpfe.
»Habt Ihr es richtig gehört, Mylord?« fragte der Buckelige. »Ja, der Gunstick-Uncle ist ein feiner Kerl. Er war Schauspieler und ist noch jetzt ein Dichter. Er spricht blutwenig, aber wenn er einmal den Mund aufthut, so redet er nur in Engelszungen, das heißt in Reimen.«
»Well!« nickte der Engländer. »Ob er in Reimen oder in Gurkensalat redet, das ist nicht meine, sondern seine Sache, aber kann er schießen?«
Der lange Dichter zog den Mund bis an das rechte Ohr und warf die Hand weit von sich, was eine Bewegung der Verachtung sein sollte. Dann erhob er seine Rifle zum Zielen, setzte sie aber wieder ab. Er hatte den rechten Augenblick versäumt, denn während seines dichterischen Ergusses hatte das Geierweibchen, erschrocken über den Tod ihres Männchens, beschlossen, sich davon zu machen. Der Vogel hatte sich schon weit entfernt.
»Er ist unmöglich zu treffen,« sagte Humply. »Meinst du nicht, Uncle?«
Der Gefragte erhob beide Hände gen Himmel nach dem Punkte, an welchem man den Geier erblickte, und antwortete in einem Tone, als ob er Tote erwecken wolle: »Es tragen ihn die Flügel - fort über Thal und Hügel - er ist mit großen Wonnen -
nun leider mir entronnen - und wer ihn nun will kriegen - schnell hinterdrein mag fliegen!«
»Unsinn!« rief der Lord. »Meint ihr wirklich, daß er nicht mehr zu treffen ist?«
»Ja, Sir,« antwortete Humply. »Kein Old Firehand, kein Winnetou und kein Old Shatterhand vermöchte ihn jetzt noch herunterzuholen, und das sind doch die drei besten Schützen des fernen Westens.«
»So!«
Während der Lord dies mehr hervorstieß als deutlich aussprach, ging ein helles, blitzartiges Zucken über sein Gesicht. Er trat schnell zum Pferde, nahm eins der Gewehre vom Riemen, entfernte die Sicherung, legte an, zielte, drückte ab, alles wie in einem einzigen kurzen Augenblicke, ließ das Gewehr wieder sinken, setzte sich nieder, griff nach der Rehkeule, um sich noch ein Stück von derselben zu schneiden, und sagte: »Nun, war er zu treffen oder nicht?«
Auf den Gesichtern
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