Der Schatz von Blackhope Hall
schrecklich, was der armen Lady Pamela zugestoßen ist?"
"In der Tat, grauenhaft."
Dramatisch erschauerte die Dienerin, verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Irina trat neben das Bett und musterte Howard Babingtons reglose Gestalt. Verächtlich kräuselte sie die Lippen. Was für ein unfähiger Schwächling! Warum hatte sie bloß so viel Zeit darauf verschwendet, ihn zu verführen? Sie berührte seine Brust. "Offensichtlich warst du ein ungeeignetes Gefäß, nicht stark genug, um meinen dunklen Liebhaber aufzunehmen. Eines so machtvollen Herrn warst du unwürdig. Und wie soll ich ihn jetzt zurückholen?"
Die Augen geschlossen, warf sie ihren Kopf in den Nacken.
"Komm zu mir, mein Liebster, mein Fürst der Finsternis. Erfülle diesen wertlosen Körper erneut und gib dich zu erkennen!"
Sie begann zu singen. Aus ihrem bebenden Mund drangen uralte, geheimnisvolle Worte. Ringsum erkaltete die Luft, und das Geräusch eines gewaltigen Windstoßes war im Raum zu hören, obwohl sich nichts regte. Irina versteifte sich und stellte sich auf die Zehenspitzen. Danach zuckte sie heftig und fiel unsanft auf die Knie. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder zu Kräften kam. Langsam erhob sie sich und ließ ihren Blick umherschweifen. Ihr Gesicht hatte sich verändert, die Augen glichen harten Steinen.
Mit tiefer, rauer Stimme rief sie: "Was mir gehört, werde ich besitzen."
Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und öffnete eine Schublade ihrer Kommode, schob die seidene Unterwäsche beiseite und ergriff eine Lederscheide. Entschlossen zog sie einen schimmernden Dolch heraus. Ein Lächeln, so eisig wie der Tod, umspielte ihre Lippen.
"Was mir gehört, werde ich besitzen", wiederholte sie, schob den Dolch in die Scheide zurück und steckte sie in den Ärmel ihres Kleids.
Dann lief sie zur Tür hinaus.
15. Kapitel
Olivia betrat das Arbeitszimmer. Lächelnd stand Stephen auf, ging um den Schreibtisch herum und nahm sie in die Arme. "Du bist ein Engel, weil du dich so nett um Mutter und Belinda kümmerst", sagte er und küsste sie auf den Scheitel.
"Oh, das fällt mir nicht schwer", versicherte sie. "Ich mag die beiden."
"Wie geht es ihnen?"
"Einigermaßen, den Umständen entsprechend." Sie rückte ein wenig von ihm ab. "In dieser Woche hat deine Schwester mehrmals einen Schock erlitten. Aber sie ist jung und widerstandsfähig. Also müsste sie es verkraften. Lady St. Leger wird wohl etwas länger brauchen, um sich zu erholen. Nun bereut sie bitter, dass sie Madame Valenskaya, Irina und Mr. Babington hierher eingeladen hat, und gibt sich die Schuld an den tragischen Ereignissen."
Stephen seufzte. "Hoffentlich kommt sie bald auf andere Gedanken."
"Vorhin brachte ich die beiden in Lady Eleanors Zimmer. Deine Mutter hat sich hingelegt, einen kühlen Lappen mit Lavendelwasser auf der Stirn, und Belinda liest ihr was vor. Wahrscheinlich achten sie kaum auf die Handlung des Romans. Aber er wird sie wenigstens ein bisschen von ihrem Kummer ablenken." Besorgt schaute Olivia zu ihm auf. "Und du? Wie fühlst du dich?"
"Ganz gut … Wie dumm von mir, nicht zu erraten, dass Pamela in die üblen Machenschaften verstrickt war! Offensichtlich wurde die Bande von irgendjemandem über Roderick und seine Familie informiert. Und wer wüsste besser Bescheid als seine Witwe? Zudem kannte ich Pamelas habgieriges, berechnendes Wesen."
"Trotzdem hättest du es nicht herausfinden können", entgegnete Olivia entschieden. "Deinem Charakter liegt jede Form von Illoyalität völlig fern. Deshalb war es dir unmöglich, einen solchen Verdacht zu schöpfen. Viel mehr hätte ich merken müssen, dass Pamela in die Sache verwickelt war. Immerhin geht es um mein Fachgebiet. Und da ich eine Außenseiterin bin, hätte ich die Situation rein verstandesmäßig und objektiv betrachten sollen."
Natürlich gab es einen Grund, warum sie nicht auf den Gedanken verfallen war, Pamela würde mit dem Medium unter einer Decke stecken. In ihrer Eifersucht hatte sie nur Stephens einstige Liebe in ihr gesehen – die Frau, die er vielleicht immer noch liebte …
Um sich zu fassen, holte sie tief Atem. Eigentlich wollte sie dieses Thema nicht anschneiden. Doch sie glaubte, sie müsse Stephen trösten. "Sicher bist du sehr traurig. Du hast sie einmal geliebt."
Verwirrt starrte er sie an. "Das weißt du?"
"Deine Schwägerin hat es mir erzählt – allerdings nahm sie es mit der Wahrheit nicht so genau. Später erfuhr ich von Belinda, was
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