Der Schatz von Blackhope Hall
noch merkwürdiger ist als ein ausgedehnter Aufenthalt in den Vereinigten Staaten."
Capshaw grinste gequält. "Nun ja, ich kann mir gut vorstellen, dass du dich mit diesem Burschen gut verstehen würdest. Wären wir beide keine Vettern, hätten wir wohl kaum Freundschaft geschlossen. Theo war ein paar Jahre nach dir in Eton. Auf diese Schule gingen noch andere, jüngere Broughtons. Die Mädchen sind lauter Blaustrümpfe. In der Gesellschaft lassen sie sich niemals blicken, von der Göttin abgesehen."
"Von wem ?"
"So nannte sie ein poetisch veranlagter Bewunderer bei ihrem Debüt vor einigen Jahren. Und der Name blieb an ihr hängen. Zweifellos passt er zu Lady Kyria Moreland. Hoch gewachsen, stattlich – eine hinreißende Schönheit … An jedem Finger hatte sie zehn Verehrer, und sie bekommt nach wie vor zahlreiche Heiratsanträge, obwohl ihr Debüt schon acht Jahre zurückliegt."
"Also ist sie immer noch ledig?" fragte St. Leger überrascht.
"Ja. Die Frauen meinen, sie wäre die Verrückteste in dieser Familie. Eine Duchess hätte sie werden können, eine Countess. Sogar ein Fürst hielt um ihre Hand an, natürlich ein Ausländer. Deshalb ist's verständlich, dass sie ihn abwies. Doch sie lehnte auch alle anderen Anträge ab. Sie sagt, das Leben, das sie jetzt führt, würde ihr gefallen und sie wolle niemals heiraten."
"Dann ist sie wirklich eine außergewöhnliche Lady."
"Ach ja, und eine andere Tochter brannte vor einigen Jahren ein Nebengebäude auf Broughton Park nieder und erregte gewaltiges Aufsehen."
"Hat sie's aus einem bestimmten Grund getan?"
"Keine Ahnung. Damals hörte ich's im Club. Broughton war außer sich vor Zorn, weil das Feuer direkt neben einem Schuppen ausbrach, in dem er seine alten Tonscherben verwahrte. Und es ist nicht das erste Mal gewesen, dass dieses Mädchen etwas angezündet hat."
"Faszinierend …" Stephen fragte sich, ob es sich bei der Pyrotechnikerin um seine Medienjägerin handelte.
"Warum interessierst du dich so für die Morelands …? Moment mal! Ist dein vermeintlicher Geist vielleicht eine Broughton-Tochter?"
"Sieht so aus."
"Heiliger Himmel!" rief Capshaw. "Nun, genau genommen wundert's mich nicht."
"Trotzdem ist sie nicht übel – sogar irgendwie reizvoll."
"Reizvoll?"
"Ja, auf gewisse Art."
"Hm."
"Schau mich nicht so an! Ich habe nicht das geringste Interesse an Miss Moreland. Glaub mir, eine Frau ist das Letzte, was ich suche. Von einer so extravaganten will ich erst recht nichts wissen. Das Landgut und meine Mutter, in den Klauen eines weiblichen Scharlatans, bereiten mir schon genug Sorgen."
Bald danach trennten sie sich. Capshaw winkte eine Droschke heran, um heimzufahren, und St. Leger ging zum nahe gelegenen Wohnsitz seiner Familie. Vor etwa hundert Jahren war das schöne, schmale, hohe Haus im georgianischen Stil von einem Ahnherrn erbaut worden. Eine Weile blieb St. Leger am Fuß der Treppe stehen, die zu dem imposanten Portal hinaufführte. Mit diesem Gebäude verbanden sich seine wunderbarsten und bittersten Erinnerungen, denn hier hatte er als junger Mann gelebt und sich verliebt – und seine große Liebe später verloren.
Entschlossen verdrängte er die trüben Gedanken, stieg die Stufen hinauf und öffnete die Tür. Ein Lakai eilte herbei, um ihm den Mantel und den Hut abzunehmen. "Mylord, hoffentlich hatten Sie einen angenehmen Abend."
"So erfolgreich, wie ich's wünschen würde, war er leider nicht."
"Sie finden Lady St. Leger im Salon."
"Sind die Damen nicht ausgegangen?"
"Doch, aber vor ein paar Minuten kehrten Ihre Ladyschaft, Miss Belinda und Lady Pamela zurück. Ihre Ladyschaft trug mir auf, sie würde Sie gern sehen, falls Sie früher nach Hause kommen sollten, Mylord."
"Ja, natürlich." St. Leger durchquerte die Halle und betrat den eleganten blau-weißen Salon. Nachdem Roderick den Adelstitel geerbt hatte, war der Raum von seiner Frau Pamela neu gestaltet worden, ebenso wie das restliche Haus. Stephen bevorzugte die wärmeren, dunkleren Farben, die dem Zimmer in alten Zeiten eine so gemütliche Atmosphäre verliehen hatten.
Seine Mutter spielte Klavier, eine Suite in gemäßigtem Rhythmus. An ihrer Seite saß seine jüngere Schwester Belinda und blätterte die Noten um. Zu seinem Leidwesen entdeckte er auch Pamela, die sich sichtlich gelangweilt auf einem hellblauen Sofa rekelte. Bei seiner Ankunft änderte sich ihre Miene, und sie schenkte ihm jenes sanfte, mysteriöse Lächeln, für das sie berühmt war – ein
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