Schwarz und Weiss (German Edition)
Prolog
Frühsommer,
mitten am Tag,
irgendwo,
einige Monate vor dem heutigen Tag...
Es gibt nichts Unangenehmeres, als mit gefesselten Händen durch ein Gebäude geführt zu werden, in dem es vor Menschen nur so wimmelt. Alle starren dich an, als seist du ein unartiges Stück Dreck oder sonst etwas widerwärtiges, auf das man mit dem Finger zeigen muss.
Ich selbst muss zugeben, dass ich es schon ein wenig verdiene, derartig gedemütigt zu werden. Ich war in den letzten vergangenen Monaten nicht gerade das, was man einen guten Bürger nennen würde, aber andererseits schäme ich mich nicht dafür. Nicht ein kleines Stück.
In Ordnung, vielleicht doch. Aber es würde niemals so weit kommen, dass ich mich für meine Handlungen entschuldigen würde. Einen gewissen Stolz hat schließlich jeder Mann.
Sie führen mich also durch die langen Flure, die mir an dem Tag, als ich das Gebäude zum ersten Mal betreten habe, so prunkvoll erschienen sind wie nichts anderes. Auch heute fühle ich mich geehrt, sie von innen sehen zu dürfen, auch wenn ich dieses Mal nicht als willkommener Gast hergebeten wurde.
Ich spüre einen leichten Stoß im Rücken und beschleunige meine Schritte. Ich hätte wirklich niemals gedacht, dass ich so enden würde…wer weiß, was sie jetzt mit mir anstellen.
Die große Flügeltür am Ende des Ganges schwingt geräuschlos auf und wir werden hindurchgelassen. Die Tür schließt sich wieder und ich werde in einen Raum gebracht, den ich bis jetzt noch nie gesehen habe. Er hat eine hohe Decke und ein langer Tisch nimmt fast den gesamten Platz in Anspruch. Am Ende dieses Tisches sitzt ein Mann mit grauen Haaren und Bart. Ich kenne ihn nur allzu gut.
„Setzen Sie sich“, fordert er mich auf und schickt meine Begleiter hinaus. Ich versuche, selbstbewusst auszusehen und setze mich auf einen Stuhl möglichst weit weg von ihm, was ihm sehr wohl auffällt. Glücklicherweise hält er den Mund.
„Sie wissen, warum Sie hier sind?“, fragt er nach einer Weile.
„Nein.“ Vielleicht ist es besser, sich dumm zu stellen.
„Hm.“ Der Mann schlägt die Fingerkuppen aneinander. „Wo ist Ihr werter Freund heute abgeblieben?“, fragt er mich scheinbar beiläufig. Das ist nicht das, was ich erwartet hatte, aber ich bemühe mich, mein Gesicht ausdruckslos wirken zu lassen. Langsam dämmert es mir, dass es gar nicht um mich geht.
„Er ist weg“, antworte ich also mit einem kalten Lächeln.
„Nun, ich denke, ich weiß sowieso, wo er sich momentan aufhält.“
Ich verkrampfe mich innerlich. Mein sogenannter Freund war, ohne etwas zu sagen, abgehauen und hatte sich auch nicht die Mühe gemacht mir zu verraten, wo ich ihn finden könnte. Also schweige ich.
„Ich habe Sie hergebeten“, fährt mein Gegenüber fort, „um Sie nach seinem Verhalten zu fragen. Hat er sich in letzter Zeit in irgendeiner Weise verändert?“
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Ich weiß nicht, warum ich lüge. Ich wurde selbst angelogen, verraten und wieder angelogen. Das Verhalten eben jenes Freundes hatte sich sehr wohl verändert, und zwar nicht ins Positive. In den letzten Wochen, in denen wir zusammen unterwegs gewesen waren, hatte er mir wirklich Angst gemacht. Er war bei jeder Kleinigkeit nervös geworden, hatte kaum geschlafen und irgendetwas hatte ihn offensichtlich von innen aufgefressen, und ich hatte ihm nicht helfen können. Ich fühle mich noch schlechter als normalerweise, wenn ich daran denke.
„Hören Sie mir noch zu?“ Die Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich nicke benommen.
„Wissen Sie, ich glaube Ihnen nicht“, redet er weiter, „Sie kannten ihn besser als jeder andere.“ Er verstummt kurz. „Aber vielleicht wird Ihnen das hier die Augen öffnen.“ Er fischt eine kleine Papierrolle aus seinem Mantel und wickelt sie auf.
„Das ist von einem meiner Kuriere. Es kam gestern mit der Eilpost“, erklärt er mir und beginnt zu lesen:
„Sehr geehrter…hm…bla bla bla…ah, hier haben wir es ja: einige Tage ist es nun her, dass Sie mich auf diese Reise geschickt haben, und anfangs habe ich wirklich geglaubt, es würde einfach werden. Alles war wie ausgestorben und noch gestern habe ich mich gefragt, ob das alles überhaupt einen Sinn macht. Aber dann habe ich sie alle doch noch gefunden. Sie lagen auf dem Feld, alle nebeneinander. Tot. So, wie Sie es vermutet hatten. Sobald ich es ein wenig näher untersucht hatte, wollte ich auf der Stelle zurückkehren und Ihnen persönlich
Weitere Kostenlose Bücher