Der Schatz von Blackhope Hall
Rücken rann ein eisiger Schauer, und sie bekam eine Gänsehaut. Als sie Madame Valenskaya anschaute, las sie unverhohlenes Entsetzen in der Miene des Mediums.
Stephen ließ Olivias Hand los und sprang auf. Krachend kippte sein Stuhl um.
Abrupt verstummte das unnatürliche Geheul, als wäre es abgeschnitten worden. Babington verdrehte die Augen, schloss die Lider und begann am ganzen Körper zu zucken, und Olivia fragte sich, ob er einen Schlaganfall erlitt. Von kaltem Grauen überwältigt, beobachteten ihn die Frauen. Nur Stephen war fähig, sich zu bewegen, lief um den Tisch herum und ergriff Babingtons Arm, während der Mann kraftlos zusammensank.
10. Kapitel
Stephen hielt Babington fest, damit der Bewusstlose nicht stürzte, sondern sanft zu Boden glitt. Vorsichtig stützte er die Schultern des Mannes und legte den Kopf auf den Teppich.
Nun erwachten die Frauen aus ihrer Erstarrung und erhoben sich von ihren Stühlen. Aufgeregt redeten sie durcheinander. Der Earl kniete neben Babington nieder, lockerte dessen Krawatte und öffnete den Hemdkragen.
"Ist alles in Ordnung mit ihm?" Olivia eilte zu Stephen und sank ebenfalls auf die Knie. "Was ist geschehen?"
"Keine Ahnung." Er zog sein Jackett aus, faltete es zusammen und schob es unter den Kopf des Mannes.
"Ist er … tot?" Zögernd trat das Medium näher und musterte Babington.
Olivia blickte zu der leichenblassen Russin auf, die ihre Hände in die Falten ihres weiten Rocks krallte. Nun war der Akzent vollends verschwunden.
"Nein, er atmet", erwiderte Stephen und tastete nach Babingtons Handgelenk. "Sein Puls rast. Was hier passiert ist, weiß ich nicht. Offenbar hat er einen Anfall erlitten."
"Das müssen die Geister bewirkt haben", meinte Irina.
"Zweifellos", bestätigte Madame Valenskaya. Anscheinend hatte sie sich wieder gefasst, denn sie sprach wieder mit ihrem üblichen gutturalen Akzent. "Einer der Geister benutzte Mr. Babingtons Stimme, um mit uns zu reden. Und alle sind unglücklich."
"Unglücklich – das ist wohl etwas zu milde ausgedrückt", bemerkte Olivia trocken.
"Oh ja", seufzte Lady St. Leger bedrückt. "Das hörte sich so an, als wäre er wahnsinnig geworden." Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Es war nicht Roddy. Unmöglich …"
"Würden Sie nach einem Dienstboten läuten, Olivia?" bat Stephen. "Wir brauchen Riechsalz. Sonst wird Babington nicht zu sich kommen. Und könnte jemand die verdammten Lampen heller drehen?"
Es war Belinda, die seinen Wunsch erfüllte und eine der Öllampen neben dem Ohnmächtigen auf den Boden stellte. Inzwischen beauftragte Olivia einen Lakaien, Riechsalz zu holen.
Wenige Minuten später kehrte er zurück, und Stephen schwenkte das Fläschchen vor Babingtons Nase. Nach einer Weile hustete der Mann und drehte den Kopf weg. Aber seine Augen blieben geschlossen. Behutsam schlug der Earl auf seine Wangen. Auch das erzielte keine Wirkung.
"Oh Gott, was ist ihm nur zugestoßen?" murmelte die Dowager Countess unter Tränen.
"Eine verlorene Seele sprach mit Mr. Babingtons Stimme", erklärte Irina. "Das hat er nicht verkraftet."
"Ja, ein Geist", bekräftigte Madame Valenskaya hastig, kehrte zu ihrem Stuhl zurück und setzte sich wieder.
Stephen schickte einen Diener zum Dorfarzt – mit der Bitte, der Doktor möge unverzüglich nach Blackhope kommen. Dann wies er zwei Lakaien an, Mr. Babington in sein Zimmer zu tragen und aufs Bett zu legen. Mit schnellen Schritten stieg er vor ihnen die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Die Frauen folgten ihnen und beobachteten, wie der Mann auf sein Bett gelegt wurde. Unsicher blieben sie in der Nähe der Tür stehen. Olivia entzündete alle Lampen und Kerzen.
Im Licht sah das Gesicht des Bewusstlosen noch bleicher aus. Zu den Frauen gewandt, sagte Stephen: "Ich warte hier auf den Arzt. Sobald er festgestellt hat, was Babington fehlt, werde ich den Damen Bescheid geben."
Sichtlich erleichtert, verließ Pamela den Raum. Madame Valenskaya und ihre Tochter zögerten, und es dauerte eine Weile, bis der Earl sie dazu überredet hatte, sich ebenfalls zu entfernen.
Lady Eleanor schaute Babington unbehaglich an. "Eigentlich sollte ich mich zu unserem Gast setzen. Als Hausherrin bin ich für ihn verantwortlich."
Von Stephens sprechendem Blick aufgefordert, trat Olivia vor. "Lady St. Leger, Ihr Sohn ist der Herr dieses Hauses und sicher imstande, bis zur Ankunft des Doktors auf den armen Gentleman aufzupassen. Vermutlich wäre es Mr. Babington angenehmer, einen
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