Der Schatz von Blackhope Hall
unmöglich …"
"Das finde ich auch. Aber als du das Kästchen und seinen Inhalt beschrieben hast, dachte ich, du müsstest dieses hier gesehen haben."
"Wieso …" Mühsam riss sie ihren Blick von der schimmernden Kassette los. "Das verstehe ich nicht."
"Ich auch nicht. Schau mal hinein." Er schob den Riegel zurück, hob den Deckel, und Olivia starrte einige goldene Gegenstände an. Dazu gehörte ein kleiner Dolch, an dessen goldenem Griff Juwelen funkelten. Obenauf lag ein Kreuz, vier oder fünf Zoll lang, mit einem Cabochon-Rubin in der Mitte.
Schon vorher hatte sie damit gerechnet, dass sie das Kreuz wiedererkennen würde. Trotzdem drehte sich ihr Magen um. Ganz genauso wie in ihrem Traum … "Den Dolch sah ich nicht."
"Nein? Und das da?" Stephen zog eine Halskette aus ovalen goldenen Perlen hervor. Jede einzelne war kunstvoll ziseliert.
Atemlos nickte Olivia. "Gewiss, diese Halskette befand sich in dem Kästchen."
"Das ist keine Halskette, sondern ein Rosenkranz", erklärte Stephen und hielt ihr die Kette hin. "Hier sind verschiedene Rauten für die Paternoster und Ave Marias eingraviert. Und wenn du die einzelnen Perlen aufmerksam betrachtest, findest du in jeder eine ziselierte biblische Szene – ein exquisites Kunstwerk."
"Sehr schön. Und der Gürtel mit den bunten Steinen, den Lady Alys trug? Liegt er auch da drin?"
"Nein, so etwas habe ich nie gesehen. Aber die Halskette und Ringe … Kommt dir irgendetwas bekannt vor?"
Olivia stand auf und ergriff die Kassette. Plötzlich stieg ein seltsames Gefühl in ihr auf, und sie konnte kaum noch atmen. Alles Blut wich ihr aus dem Gesicht.
In ihrer Fantasie erschien die Frau, von der sie letzte Nacht geträumt hatte. Lady Alys und der Ritter, den sie liebte, saßen auf einer Wiese, am Ufer eines Teichs. Zu diesem idyllischen Fleckchen Erde war Olivia am Tag nach ihrer Ankunft in Blackhope mit Stephen geritten.
Lady Alys lehnte an John, sein Arm umschlang ihre Schultern. Offenbar hingen sie im Sonnenlicht beschaulichen Tagträumen nach.
Die Augen voller Liebe, blickte Alys zu dem Ritter auf. Lächelnd unterhielten sie sich. Den Mann, den Olivia in einiger Entfernung stehen sah, zwischen den Bäumen am Wiesenrand halb verborgen, bemerkten sie nicht. Sein Haar war ebenso pechschwarz wie sein kleiner Spitzbart. An seinem Finger glitzerte ein goldener Ring, und er trug eine kostbare seidene Tunika, am Hals üppig mit Goldfäden bestickt. Während er das Paar beobachtete, spiegelte sein Gesicht kalten Hass wider.
Plötzlich stürmte eine überwältigend böse Macht auf Olivias Seele ein und schnürte ihr die Kehle zu. Die Augen verdreht, begann sie zu schwanken.
"Oh Gott, Olivia!" Erschrocken sprang Stephen vor. Als ihr die Sinne schwanden, schlang er einen Arm um ihre Taille. Mit der anderen Hand hielt er die goldene Kassette fest, die er auf den Schreibtisch stellte. Dann setzte er Olivia behutsam in den Sessel und umfasste ihr Handgelenk. Besorgt fühlte er ihren Puls. "Bitte, Olivia, wach auf!" Voller Angst, sie wäre in den gleichen Zustand geraten wie Howard Babington, flehte er: "Um Himmels willen, wach auf!"
Als er nach dem Glockenstrang griff und nach einem Lakaien läuten wollte, um sich Riechsalz bringen zu lassen, flatterten Olivias Lider. Wenig später öffnete sie die Augen.
"Gott sei Dank", seufzte Stephen erleichtert. "Geht es dir gut?"
"Ich … ja, ich denke schon", stammelte sie verwirrt. "Was ist geschehen?"
"Du bist in Ohnmacht gefallen. Keine Ahnung, warum. Du hast die Kassette der Märtyrer in den Händen gehalten – und nach einer kleinen Weile die Besinnung verloren." Er schob eine Hand hinter ihren Rücken und half ihr, sich aufzurichten.
"Oh …" Zitternd berührte sie ihre Stirn. Sie fühlte sich schwach, und ihr wurde übel. "Soeben sah ich etwas … Tut mir Leid, ich kann es nicht erklären … Kaum hatte ich das Kästchen berührt, erblickte ich Lady Alys …" In knappen Worten beschrieb sie die Vision und erwähnte auch den Mann, der das Liebespaar beobachtet hatte, zwischen den Bäumen verborgen.
"Glaubst du, das war Lady Alys' Ehemann?" fragte Stephen.
"Meinst du Sir Raymond? Ja , vermutlich. In seinen Augen glitzerten Hass und Zorn, und etwas Böses ließ mich erschauern …", lautete die Antwort.
"Etwas Böses?" wiederholte er. "Eigentlich sollte man annehmen, Sir Raymond wäre beleidigt und hintergangen worden. Deshalb dürfte ihn keine Schuld treffen, und er würde nichts Böses verkörpern."
"Du hast diesen
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