Der Schatz von Blackhope Hall
bemerkte … Was hatte sie soeben gesehen?
In ihrer Fantasie zeigte sich das Schloss immer noch – wehende Flaggen über den Zinnen, die hochgezogene Zugbrücke, die großen geöffneten Torflügel. So deutlich, so real! Olivia spähte noch einmal durch das Fenster. Noch immer keine Festung am Horizont, nur ein schönes, majestätisches Haus.
Während sich der Wagen dem Landsitz näherte, kniff sie die Augen zusammen und versuchte herauszufinden, wodurch sie getäuscht worden war – warum sie geglaubt hatte, eine normannische Festung zu erblicken. Um jene Architektur nicht zu erkennen, hatte sie zu viel Zeit in der Gesellschaft ihres Großonkels Bellard verbracht, des leidenschaftlichen Historikers. Die Vision hatte ihr die typische Bauweise des zehnten und elften Jahrhunderts gezeigt, aus dem Zeitalter nach Williams Eroberung – ein Schloss, in unruhigen Kriegszeiten entstanden. Solche Mauern, von einem runden Turm überragt, hatten den Festungsherrn, seine Familie, die Soldaten und Dorfbewohner vor feindlichen Attacken geschützt.
Eine solche Burg war der St.-Leger-Ahnensitz eindeutig nicht. Hier gab es keine Außenmauern. Nur auf einer Seite, wo sich ein niedriger quadratischer Turm an das Gebäude fügte, glich es einem Schloss. In einem anderen Flügel erkannte Olivia die Merkmale des elisabethanischen Stils, diagonal dazu erstreckte sich ein weiterer Trakt mit spätgotischen Zügen. Irgendwie bildete die Mischung aus mindestens drei verschiedenen Epochen ein harmonisches Ganzes. An einer Seitenwand rankte sich Efeu empor, vor den Fenstern gestutzt. Teilweise bedeckten die immergrünen Zweige auch die Vorderfront. Trotz der Größe strahlte Blackhope Hall eine warme, gemütliche Atmosphäre aus, die den unheimlichen Namen Lügen strafte.
Als die Kutsche vor den Eingangsstufen hielt, eilte ein Lakai aus dem Haus, öffnete die Wagentür und half Olivia auszusteigen. "Willkommen in Blackhope, Mylady."
Nach einer höflichen Verbeugung geleitete er sie in die Halle, während der Wagen zur Küchentür fuhr. Dort sollten Tom und Joan abgesetzt und die Gepäckstücke ausgeladen werden.
Olivia schaute sich in der mittelalterlichen Halle um. Später war eine breite Treppe eingebaut worden. Im ersten Stock teilte sie sich, um in anmutigen Kurven und verschiedenen Richtungen zur zweiten Etage hinaufzuführen.
Lächelnd stieg Lord St. Leger die Stufen hinab. Olivia hielt den Atem an und erkannte verblüfft, wie sehr sie sich auf diesen Moment gefreut hatte. Warum, wusste sie nicht. Sie war anderen Männern begegnet, die ebenso attraktiv aussahen wie der Earl – und zweifellos ein umgänglicheres Wesen besaßen –, aber keiner dieser Gentlemen hatte so intensive Gefühle in ihr geweckt. Sie dachte an ihre äußere Erscheinung, von der Reise etwas derangiert, an ihren zerknitterten Rock, die Haarsträhnen, die sich aus Joans kunstvoller Frisur gelöst hatten. Und sie wünschte, sie hätte sich frisch machen können, bevor sie dem Hausherrn gegenübergetreten wäre.
"Willkommen in Blackhope, Olivia", grüßte er und umfasste ihre Hand. Dabei verspürte sie die gleiche eigenartige Wärme wie bei jener ersten Berührung, und noch etwas mehr, ein verwirrendes Wiedererkennen.
Das verstand sie nach wie vor nicht. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sie dieses Gefühl sehr angenehm fand. "Vielen Dank für die Einladung, Stephen. Was für ein wunderschönes Haus!" Das Trugbild des normannischen Schlosses erwähnte sie nicht. Wegen solcher Fantasien war ihre Familie verrückt genannt worden. Ähnliche Visionen hatte ihre Großmutter oft genug beschrieben und ihrer kleinen Enkelin damit Angst eingejagt.
"Wie froh ich bin, dass Sie hier sind", gestand Stephen leise, ohne ihre Hand loszulassen. Eindringlich guckte er ihr in die Augen. "Ich hatte befürchtet, im letzten Moment würden Sie sich doch noch anders besinnen."
"Unsinn!" erwiderte sie. Dann glaubte sie, ihre Stimme würde viel zu eifrig klingen, und fuhr in nüchternem Ton fort: "Ich freue mich auf meine Ermittlungen. Eine so günstige Gelegenheit ergibt sich nur selten.
"Ja, natürlich – wie nett, dass Sie so denken." Jetzt sprach auch Stephen in förmlicherem Ton, und sie bereute ihre Worte. Warum benahm sie sich auf gesellschaftlichem Parkett immer wieder so ungeschickt? "Darf ich Sie meiner Familie vorstellen, Olivia? Die Damen können es kaum erwarten, Sie kennen zu lernen."
Höflich bot er ihr seinen Arm und führte sie die Treppe hinauf, dann durch eine
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