Der Schatz von Blackhope Hall
…"
"Possen?" unterbrach ihn seine Mutter empört. "So abfällig solltest du nicht darüber reden. Das war ein grässlicher Mönch mit dem Gesicht eines Skeletts, und er ging mit langsamen, gemessenen Schritten dahin – wie das verkörperte Verhängnis. Oder wie der Tod!"
Tröstend legte Olivia eine Hand auf die Schulter der älteren Frau. "Bitte, beruhigen Sie sich, Lady St. Leger. Morgen, bei Tageslicht, werden wir den Garten noch einmal durchsuchen. Da werden wir sicher etwas finden, das Ihre Sorge lindert."
"Geister hinterlassen keine Spuren", erklärte Madame Valenskaya kategorisch. "Verstehen Sie denn nicht? Das war eine verlorene Seele, die nach mir rief. Und nach Ihnen!" Anklagend zeigte sie auf Stephen. "Wie können Sie diesen Hilfeschrei ignorieren?"
"Zum Teufel!" platzte Stephen heraus. "Das war einfach nur ein Mann in einer Mönchskutte. Doch ich glaube, das wissen Sie bereits …"
"Bitte, Lord St. Leger", mischte sich Olivia ein, "Ihre Mutter ist mit den Nerven am Ende. Jetzt sollten Sie die arme Countess in ihr Zimmer bringen."
"Ja, gewiss." Dankbar guckte er sie an und umfasste den Arm seiner Mutter. "Gehen wir nach oben. Am besten legst du dich hin und ruhst dich eine Weile aus. Danach wirst du dich besser fühlen."
"Oh nein!" protestierte Lady Eleanor. "Ich bin viel zu aufgeregt, um die Augen zu schließen – geschweige denn, um zu schlafen. Nie zuvor habe ich einen Geist gesehen. Es war so schrecklich!"
"Auch heute Abend hast du keinen gesehen", erwiderte Stephen.
"Jedenfalls war es furchtbar", bestätigte Olivia. "Was auch immer es gewesen ist."
"Als der Mönch seine Kapuze nach hinten streifte und den Totenschädel entblößte …" Belinda bebte am ganzen Körper. "Vor lauter Angst habe ich fast den Verstand verloren."
"Zweifellos haben Sie zu Recht verkündet, unter diesem Dach würden zahlreiche verlorene Seelen hausen", bemerkte Mr. Babington in ungewohnt energischem Ton. "Offensichtlich haben wir vorhin einen der unglücklichen Geister gesehen, die Lady St. Legers Sohn erwähnt hat."
"Ja – ohne jeden Zweifel …", stimmte Madame Valenskaya langsam zu, den Kopf gesenkt. "Tut mir Leid, Mylady … Blackhope ist ein dunkler, leidvoller Ort."
"Halten Sie heute Abend eine Séance ab, Madame?" fragte Lady St. Leger und befreite sich aus dem Griff ihres Sohnes. Hoffnungsvoll ging sie zu der Russin und schaute ihr ins Gesicht. "Bitte! Ich glaube, damit würden Sie den armen Seelen helfen."
"Oh ja, Mylady." Majestätisch richtete sich das Medium auf. "Ich muss Ihnen helfen. Nach dem Dinner werde ich die Geister rufen."
Olivia guckte Stephen an, der die Augen verdrehte. Aber er schwieg. Ebenso wie sie schien auch er zu erkennen, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab, das Medium zu entlarven – sie mussten ihm vorerst freie Hand lassen.
Nach dem Dinner, das wegen der "Geistererscheinung" etwas verspätet stattgefunden hatte, versammelten sich die St. Legers und ihre Gäste wieder am Tisch im kleinen Speiseraum. Wie zuvor saß Madame Valenskaya am Kopfende, von ihren Komplizen flankiert, und Lord St. Leger möglichst weit entfernt. Olivia hatte erneut zwischen Lady St. Leger und Stephen Platz genommen. Obwohl sie an diesem Abend auf das Gefühl vorbereitet war, das die Berührung seiner Hand auslöste, stockte ihr der Atem. Was mochte er in diesem Moment empfinden? Unwillkürlich erinnerte sie sich wieder an den Kuss und hoffte, er würde ihre Gedanken nicht erraten.
Die Lampe wurde gelöscht. In tiefer Stille verstrichen mehrere Minuten, während sie alle abwarteten, was geschehen würde. Schließlich stöhnte Madame leise, und bald danach ertönte Musik. Es dauerte eine Weile, bis Olivia das Klavierstück erkannte – "Für Elise".
Offensichtlich erkannte auch Lady St. Leger die Melodie, denn sie umfasste Olivias Hand etwas fester. "Oh, das hat Roderick besonders gern gehört. Nicht wahr, Pamela?"
"Oh ja", antwortete Pamela mit seltsam hohler Stimme.
Stephen drückte Olivias Finger, und sie spürte, wie mühsam er der neuerlichen Versuchung widerstand, die Séance mit einem Fluch zu unterbrechen.
Um ihn zu beschwichtigen, erwiderte sie den Händedruck, und er umfasste ihre Finger noch etwas fester. Damit gab er ihr zu verstehen, dass er die stumme Warnung beachten würde.
So abrupt, wie die Musik begonnen hatte, verhallte sie. Nun ertönte Madame Valenskayas Stimme, leise, heiser und stockend, so als würde sie in ihren eigenen Ohren fremd klingen.
"Mama?"
"Roddy?" rief
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