Der Scherbensammler
der Straße schossen auf sie zu. Die Schatten der Bäume rasten vorbei. Die Lichter in den Höfen waren so weit weg.
»Nicht so schnell«, sagte Ben.
Er konnte nur in Befehlen reden. Wie der Vater.
Die Striche kamen jetzt langsamer auf sie zu. Aber die Lichter waren immer noch unerreichbar fern.
Margot war schon ins Bett gegangen. Bert hatte sich mit einem Glas Rotwein ins Wohnzimmer gesetzt, um die Ereignisse des Tages in Ruhe sacken zu lassen. Schlaf würde er sowieso nicht finden, dazu war sein Kopf zu wach.
»Ich wünschte, du würdest aufhören, deine Arbeit mit nach Hause zu bringen«, hatte Margot sich beim Abendessen beklagt.
Wie lange war es her, dass sie zum letzten Mal Verständnis gezeigt hatte? Wann hatte sie ihn zum letzten Mal voller Überschwang geküsst? Margot war eine völlig andere Person geworden. Unbegreiflich. Fremd.
Vielleicht war das so in einer Ehe. Dass die Liebe weniger wurde mit der Zeit. Wie Wasser, das verdunstet. War es bei ihnen so weit? War von der Liebe nichts übrig geblieben?
Bert fragte sich, ob er bestimmte Anzeichen übersehen hatte. Es musste doch einen Zeitpunkt gegeben haben, an dem sie das Verkümmern ihrer Gefühle füreinander hätten aufhalten können.
Er saß da und wartete auf die Nacht. Irgendwo da draußen waren drei Mädchen, die er finden musste, es gab zwei Morde, die aufzuklären waren, und beides hatte wahrscheinlich miteinander zu tun. Es gelang ihm noch nicht, die Fäden zu entwirren, aber die Reihenfolge war klar - er würde alle Hebel in Bewegung setzen, um die Mädchen in Sicherheit zu bringen.
Seit der Lieferwagen der Werkstatt Kronmeyer in der Nähe von Jettes und Merles Wohnung entdeckt worden war, stand für Bert fest, dass Ben der Eindringling gewesen sein musste. Und es war mehr als wahrscheinlich, dass die Mädchen ihn nicht freiwillig begleitet hatten.
Aber warum hatte er, wenn er nur an Mina interessiert war, auch Jette und Merle in seine Gewalt gebracht? Weil er keine Zeuginnen zurücklassen wollte? Um sie als Geiseln zu benutzen?
Da es Ben offenbar nicht wichtig gewesen war, den Lieferwagen verschwinden zu lassen, um seine Spur zu verwischen, ging Bert davon aus, dass er die Freundinnen als Geiseln genommen hatte.
Er schüttelte den Kopf. Der Junge musste völlig überstürzt gehandelt haben, denn das ergab überhaupt keinen Sinn. Jette und Merle waren doch nur eine Last für ihn. Mina allein hätte nach außen ebenso gut als Geisel dienen können.
»Es ist schwierig, sich in die Geisteswelt eines Psychopathen zu versetzen«, hatte Isa gesagt, denn dass es sich bei Ben um einen solchen handelte, war für sie vollkommen klar. »Er ist unter der Dominanz religiöser Fanatiker aufgewachsen und wurde jahrelang misshandelt und terrorisiert. Das ist ein idealer Nährboden für Psychopathie.«
»Was macht für dich einen Psychopathen aus?«, hatte Bert sie gefragt.
Sie hatte nicht gezögert. »Er ist charmant, gewissenlos und manipulativ, mit einem übersteigerten Selbstwertgefühl ausgestattet und einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Allmacht.«
So oder ähnlich hätte Bert es auch formuliert. Er hatte dieses Bild mit den Psychopathen verglichen, denen er im Laufe seines Berufslebens begegnet war. Und dann mit seinem Eindruck von Ben. Es passte.
Der Junge hatte sich von Minas Abweisung nicht beeindrucken lassen. Er hatte sich bedenkenlos geholt, was sie ihm verweigern wollte. Er hatte sich in Marlenes Herz geschlichen und Mina daraus vertrieben. Und es war ihm mühelos gelungen, sogar Berts Sympathie zu gewinnen.
»Unnötig, dich zu fragen, für wie gefährlich du Ben Bischop hältst?«
»Er ist überaus gefährlich, Bert. Du solltest ihn schnell finden.«
Genau das hatte er vor. Die Fahndung lief auf vollen Touren. Der Chef stand kurz vor einem Infarkt. Die Presse überschlug sich förmlich. Der Bürgermeister und andere hochrangige Mitglieder der Wahren Anbeter Gottes übten enormen Druck aus, damit der religiöse Zirkel endlich aus den Schlagzeilen verschwand.
In der Küche schenkte Bert sich noch ein Glas Wein ein und beschloss dann, die Flasche mit ins Wohnzimmer zu nehmen. Er fragte sich, wie Ben drei Mädchen unter Kontrolle halten wollte. Auf der Straße wäre das unmöglich. Also musste er einen Unterschlupf gefunden haben. Was eignete sich dazu?
Eine Wohnung, dachte Bert. Ein Haus. Eine Scheune. Ein Stall. Vielleicht war er bei einem Freund untergekommen? Oder er hatte ein unbewohntes Haus entdeckt.
Ein
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