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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Schweißtropfen rollte ihm über die Schläfe. Sein ganzer Körper signalisierte Abwehr. Bert fühlte sich an die Verteidigungshaltung von Katern erinnert. Steifbeinig und mit krummem Buckel verharren sie in vollkommener Reglosigkeit. Um dann urplötzlich anzugreifen.
    Als Marlene Kronmeyer sich umdrehte, kam Bewegung in den Jungen. Er nahm ihren Arm und führte sie aus dem Raum. Auf dem Flur wurden seine Schritte immer schneller. Marlene Kronmeyer hatte Mühe mitzuhalten.
    Draußen dann keine feuchten Augen mehr. Kein Lächeln. Marlene Kronmeyer blickte durch Bert hindurch und schien seine Fragen nicht zu hören oder nicht zu begreifen.
    »Sie braucht Ruhe«, sagte der Junge. »Darf ich sie nach Hause bringen?«
    Bert hatte genickt. Er hatte sich in seinen Wagen gesetzt, um ins Büro zu fahren. Die Befragung konnte warten. Der Chef würde das anders sehen, aber das spielte keine Rolle. Der Chef sah die Dinge meistens anders.
    Den Rest der Fahrt dachte Bert über diesen Jungen nach.  Ben. Der Name passte zu ihm. Kurz und bündig. Keine Silbe zu viel. Ein wortkarger junger Mann. Achtzehn, neunzehn Jahre alt. Misstrauisch. Oder scheu. Manchmal konnte man das nicht unterscheiden.
    Er schien eine innige Verbindung zu Marlene Kronmeyer zu haben. Vom ersten Moment an hatte er die Beschützerrolle übernommen. Sein junges, ernstes Gesicht. Seine Betroffenheit. Und wie es ihm nur mit Mühe gelungen war, die Situation zu überstehen.
    Bert spürte, dass er den Jungen ins Herz geschlossen hatte. Vorsicht, dachte er. Du weißt doch, dass du nie deine Objektivität verlieren darfst.
    »Objektivität«, murmelte er und wich einem Fahrradfahrer aus. Manche Wörter schüchterten ihn geradezu ein.
    Und wieder kam ihm dieser Ben in den Kopf. Der in seiner Beschützerrolle gesteckt hatte wie in zu großen Kleidern. Bert hatte das Bedürfnis, ihn zu trösten. Ihm eine Geschichte zu erzählen, um ihn zum Lachen zu bringen. Ihn und die stille Frau mit dem leisen Lächeln.
     
    Ungläubig ließ Tilo die Zeitung sinken.
    »Ist dir ein Geist erschienen?« Über den Rand ihrer Lesebrille hinweg sah Imke ihn an.
    »Der Vater einer meiner Patientinnen ist tot.« Fassungslos erwiderte er ihren Blick. »Er wurde ermordet.«
    »Ermordet?«
    Imke faltete den Kulturteil, in dem sie gerade las, raschelnd zusammen. Obwohl sie sich als Krimiautorin tagtäglich mit Mord und Totschlag beschäftigte, erschütterte sie jeder Tod in ihrer unmittelbaren Umgebung heftig.
    Tilo nickte »In der alten Fabrik.«
    »Gehört die nicht irgend so einer Sekte?«
    Imke legte Zeitung und Brille beiseite. Dabei liebte sie es, beim Frühstücken zu lesen. Für Tilo war es bereits das zweite Frühstück. Nach dem ersten Termin am frühen Morgen hatten gleich drei Patienten abgesagt. Da hatte er nicht nur Ruth nach Hause geschickt, sondern beschlossen, auch sich selbst einen freien Tag zu gönnen und Imke mit frischen Brötchen zu wecken.
    »Einer religiösen Gemeinschaft. Jedenfalls offiziell. Für mein Gefühl läuft das bei denen aber nicht viel anders ab als bei einer Sekte. Wahre Anbeter Gottes. In den vergangenen Monaten habe ich mehr über sie erfahren, als ich wollte.«
    »Ach ja.« Imke lächelte. »Deine kleine Lieblingspatientin.«
    Tilo wehrte sich nicht gegen ihre Unterstellung. Imke hatte ja recht. Mina war etwas ganz Besonderes. Das hatte er von Anfang an gespürt.
    »Hat sie nicht den Namen dieses Mädchens aus Bram Stokers Dracula?«
    Typisch Imke. Zu allem und jedem fand sie einen literarischen Bezug. Er kannte weder Bram Stoker noch das Buch noch das Mädchen daraus. Aber vielleicht sagte die Wahl des Namens ja etwas über Minas Eltern aus.
    »Wie ist Bram Stokers Mädchen denn so?«
    »Mina? Sie ist schön. Intelligent. Und tief in ihr schlummern Facetten, von denen niemand etwas ahnt.«
    Volltreffer, dachte Tilo. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Ein Säugling, der eben erst auf die Welt gekommen ist, kann noch nicht viel von seiner Persönlichkeit zeigen.
    »Passt«, sagte er dennoch und zerbröselte ein Stück Eierschale zwischen den Fingern. »Mina«, murmelte er. Wie konnte man einem Neugeborenen einen Namen geben, der mit Dracula zu tun hatte?
    »Ein bezaubernder Name.« Imke hatte es sich abgewöhnt, ihm tiefer gehende Fragen zu seinen Patienten zu stellen. Sie hatte akzeptiert, dass er sie nicht beantworten durfte.
    Tilo nickte. Vorsichtig zog er dem Rest der Eierschale die dünne Innenhaut ab.
    »Du machst dir Sorgen um das

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