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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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besuchte seine Frau, sooft es ihm möglich war. Sie erkannte ihn längst nicht mehr. Der Ehemann, an den sie sich in seltenen Momenten erinnerte, war jung. Sternbergs hatten drei Kinder, die sich hier nie blicken ließen. Sie kamen im Leben ihrer Mutter nicht mehr vor und das hielten sie nicht aus.
    Frau Sternberg hasste den Fahrstuhl. Aber die Treppe war für sie unüberwindlich. Während wir nach oben fuhren, bewegten sich ihre Lippen wie bei einem stummen Gebet. Sobald sich die Tür öffnete, drängte sie hinaus.
    »Als wär man lebendig begraben.«
    Jetzt schaute sie mich direkt an, was sie nur ganz selten tat. Meistens wich sie dem Blick ihres Gegenübers aus. Ihre Augen waren überraschend blau. Ich konnte mir plötzlich vorstellen, wie sie als junges Mädchen ausgesehen haben musste.
    Neben den Zimmertüren waren Körbe an den Wänden angebracht. In ihnen befanden sich Kuscheltiere, Massagebälle, Wollknäuel, Stifte. Demenzkranke stöbern gern. Sie öffnen fremde Türen, betreten fremde Zimmer, durchwühlen Schränke und Schubladen. Die Körbe sollten das verhindern. In ihnen durften sie nach Herzenslust kramen. Herausnehmen, was sie wollten. Es gehörte zu meinen Aufgaben, die später überall herumliegenden Sachen wieder in den Körben zu verstauen.
    In ihrem Zimmer setzte Frau Sternberg sich in den Sessel und band sich die Schuhe auf. »Mama hat mich ins Bett geschickt«, flüsterte sie, »weil ich ein böses Mädchen war.«  Ihre Mundwinkel bebten. Gleich würde sie anfangen zu weinen.
    Ich hockte mich neben sie und nahm ihre Hand. Sie war lang und knochig. Zwischen den dicken blauen Adern lag die Haut wie fleckiges Pergament. Ein Hauch von Kölnisch Wasser stieg mir in die Nase.
    »Alles ist wieder gut«, sagte ich leise. »Alles ist gut.«
    Sie entspannte sich allmählich, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Kurz darauf war sie eingeschlafen. Ich deckte sie mit einer Wolldecke zu und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer, um in den Speisesaal zurückzukehren. Ich musste mich beeilen, wenn ich rechtzeitig zu Hause sein wollte. Merle und ich hatten einen Filmabend geplant. Sie hatte versprochen, ein paar schöne DVDs auszuleihen und sich ums Essen zu kümmern. Seit ich diesen Job hatte, verbrachten wir viel zu wenig Zeit miteinander.
    »Das werden wir ändern«, murmelte ich und legte mich ins Zeug. Wenn ich so weitermachte, würde ich mit meinem Tempo beim Tischabwischen irgendwann ins Guinnessbuch der Rekorde kommen. Ich grinste vor mich hin und freute mich auf den Feierabend.
     
    Sie kannte diese Wohnung nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hergekommen war. Sie drehte sich um.
    Eine Küche. Dampfschwaden hingen in der Luft. Auf dem Herd stand ein Kessel mit kochendem Wasser. Anscheinend schon eine ganze Weile. Nicht mehr lange, und er würde anbrennen und mit der Herdplatte verschmelzen. War denn niemand hier?
    Sie ging hin und drehte den Schalter. Er klackte leise und sie zuckte bei dem Geräusch zusammen.
    »Ruhig«, flüsterte sie. »Ganz ruhig.«
    Es nützte nichts. Ihre Nerven lagen bloß. Sie musste hier raus. Sie konnte nicht in all dem Blut hocken bleiben und abwarten, was geschehen würde.
    Schritt für Schritt näherte sie sich der Tür. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Die Härchen an ihren Unterarmen stellten sich auf. Sie spürte die Gänsehaut, die sie überrieselte, sogar im Gesicht. Es kostete sie alle Kraft, sich vorzubeugen und einen Blick in den Flur zu werfen.
    Ein hellgrauer Teppichboden, weiße Wände. Und der Geruch von Blut. Fast meinte sie, das Blut schmecken zu können. Es schien in ihre Nasenlöcher eingedrungen zu sein und sich von da aus in ihrem ganzen Körper auszubreiten.
    Rote Abdrücke auf den Wänden. Rote Fußspuren auf dem Teppichboden.
    Drei Türen. Alle standen offen. An allen musste sie vorbei. Um rauszukommen. Raus. Nur raus.
    Sie schluckte. Trocken. Schmerzhaft. Versuchte, sich zu räuspern, um sich mit ihrer Stimme Mut zu machen. Aber kein Laut kam aus ihrer Kehle.
    Und dann tat sie den ersten Schritt.
     
    Merle ließ Wasser in eine Glasschüssel laufen, um die Trauben darin zu waschen. Erst gestern hatte sie gelesen, wie stark Trauben mit Pestiziden belastet waren. Vielleicht sollten sie ganz aufhören, Trauben zu essen. Vielleicht. Vielleicht sollten sie irgendwann überhaupt anfangen mit dem Vernünftigsein.
    Donna und Julchen strichen ihr maunzend um die Beine. Sie hatten ihr Trockenfutter nicht angerührt. Warum auch, wenn sie nur ein bisschen

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