Der Scherbensammler
Merle und mich auch noch als Geiseln an.
Das schien auch Ben zu wundern.
»Auf einmal bist du wieder auf meiner Seite?«
»Ich war immer auf deiner Seite, Ben.«
Er wollte ihr glauben, unbedingt. Es war deutlich in seinem Gesicht zu lesen. Es war auch zu erkennen, wie heftig er mit sich kämpfte. Konnte er Mina überhaupt noch vertrauen? Merle hatte mir erzählt, wie herablassend Cleo ihn behandelt hatte.
»Okay«, sagte er schließlich. »Aber zu viert brauchen wir einen Unterschlupf.«
Mina stand auf. Sie ging lächelnd auf ihn zu.
»Wie würde dir ein Haus am Meer gefallen?«
»Was tut sie da?«, flüsterte Merle. »Wie kann sie ihm das verraten?«
Ich sah Mina genauer an. Hatte ihre Stimme nicht leicht verändert geklungen? Und wieso hatte sie plötzlich überhaupt keine Angst mehr vor Ben?
Sie tuschelten miteinander.
Merle drückte meine Hand.
»Sie hat bestimmt einen Plan«, flüsterte ich zurück und wünschte mir sehnlichst, recht zu behalten.
»Und wenn nicht?«
Ben hob den Kopf. Sein Grinsen gefiel mir nicht.
Kapitel 20
Er hatte die Handys unbrauchbar gemacht und in den Abfalleimer gestopft. Vorsichtshalber hatte er auch noch das Telefonkabel aus der Wand gerissen. Ihm war klar, dass sie schnell hier raus mussten.
Noch ein paar Stunden, und der Kommissar würde anfangen, Mina unter die Lupe zu nehmen. Auch Tilo Baumgart würde hier aufkreuzen, um seiner Patientin beizustehen, wie sich das für einen anständigen Therapeuten gehörte. Vielleicht würde sogar Marlene an die Tür klopfen, falls sie es schaffte, einmal in ihrem Leben aktiv zu werden und herauszufinden, wo ihre Tochter sich versteckte.
Aber noch war es nicht so weit. Und Ben wusste die Zeit zu nutzen.
Jedem Mädchen hatte er einen Rucksack erlaubt. Während sie packten, mussten sie ihre Zimmertüren weit offen stehen lassen, damit Ben im Flur auf und ab patrouillieren konnte, um alles zu beobachten.
Blitzschnell hatte er umgeplant. Er hatte beschlossen, Jettes Wagen zu nehmen. Der war nicht so auffällig wie der Lieferwagen der Werkstatt, in dem er hierhergekommen war.
Gut, dass die Mädchen nicht jammerten. Das wäre ihm auf die Nerven gefallen. Aber sie waren nicht die Typen, die sich hinsetzten und flennten. Ben musste nur aufpassen, dass ihre Stärke sich nicht gegen ihn richtete, dann konnte er sie sogar für seine Zwecke einsetzen.
Was ihn verunsicherte, war lediglich Mina. Er wusste nicht mehr, ob er ihr trauen konnte.
Als die drei Rucksäcke neben seinem im Flur standen, ließ er die Mädchen Proviant zusammensuchen. Es kam nicht allzu viel dabei heraus. Ein paar Scheiben Brot, ein Kanten Käse, ein bisschen Obst, Kaffeepulver, Tee und Saft.
»Na ja«, sagte er, »ihr wart ja nicht auf einen Ausflug vorbereitet.«
Niemand lachte über seinen Scherz, und Ben fragte sich, auf was er sich da eingelassen hatte. Wie hatte er bloß Minas Wunsch akzeptieren können, die Mädchen mitzuschleppen. Sie waren nichts als ein Klotz am Bein.
Wenigstens für ein paar Tage, hatte Mina gemeint. Bis sie weit genug weg wären. Dann könnten sie in aller Ruhe ihre Spur verwischen. Und weitersehen.
»Sie sind unsere Lebensversicherung«, hatte sie gesagt. »Nur so haben wir eine Chance.«
Wir. Wie gut sich das anhörte.
Ein paar Tage waren zu verkraften, ja. Doch danach würde er sich etwas überlegen müssen. Die beiden am Leben zu lassen, wäre absolut fahrlässig. Ben hatte nicht vor, Fehler zu machen.
»Was ist mit unseren Katzen?«, fragte Merle.
Katzen! Als hätte Ben keine anderen Probleme. Er überhörte die Frage und inspizierte noch einmal die Tasche mit den Lebensmitteln.
»Wir stellen ihnen Trockenfutter hin«, sagte Jette. »Spätestens heute Abend wird Tilo klar sein, dass etwas passiert sein muss. Dann werden sie Donna und Julchen finden.«
Es war noch stockdunkel, als sie das Haus verließen und das Gepäck im Kofferraum von Jettes Renault verstauten. Alles hing jetzt davon ab, ob es Jette gelang, unbemerkt den Schlüssel für das Ferienhaus zu besorgen.
Die alte Dame würde ihn nicht vermissen. Wahrscheinlich gammelte er seit Urzeiten in der Schublade vor sich hin, und sie erinnerte sich alle Jahre mal an ihn, um ihn gleich wieder zu vergessen.
Ein bisschen Risiko gibt es immer, dachte Ben, als er sich neben Merle auf den Beifahrersitz fallen ließ, das Messer aus der Tasche zog und ihr befahl loszufahren.
Merle starrte das Messer an. Sie rührte sich nicht.
»Jetzt spiel nicht die Mimose!«
Ben
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