Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schimmelreiter

Der Schimmelreiter

Titel: Der Schimmelreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
Mondduft kaum erkennbaren Hallig hinüberstarrten; etwas Auffälliges schien sie dort so festzuhalten. Der Tagelöhner steckte die Hände in die Tasche und schüttelte sich. »Komm, Iven«, sagte er, »das ist nichts Gutes; laß uns nach Haus gehen!«
    Der andere lachte, wenn auch ein Grauen bei ihm hindurchklang: »Ei was, es ist eine lebige Kreatur, eine große! Wer, zum Teufel, hat sie nach dem Schlickstück hinaufgejagt! Sieh nur, nun reckt's den Hals zu uns hinüber! Nein, es senkt den Kopf, es frißt! Ich dächt, es wär dort nichts zu fressen! Was es nur sein mag?«
    »Was geht das uns an!« entgegnete der andere. »Gute Nacht, Iven, wenn du nicht mitwillst; ich gehe nach Haus!«
    – »Ja, ja; du hast ein Weib, du kommst ins warme Bett! Bei mir ist auch in meiner Kammer lauter Märzenluft!«
    »Gut Nacht denn!«rief der Tagelöhner zurück, während er auf dem Deich nach Hause trabte. Der Knecht sah sich ein paarmal nach dem Fortlaufenden um; aber die Begier, Unheimliches zu schauen, hielt ihn noch fest. Da kam eine untersetzte, dunkle Gestalt auf dem Deich vom Dorf her gegen ihn heran; es war der Dienstjunge des Deichgrafen. »Was willst du, Carsten?« rief ihm der Knecht entgegen.
    »Ich? – nichts«, sagte der Junge; »aber unser Wirt will dich sprechen, Iven Johns!«
    Der Knecht hatte die Augen schon wieder nach der Hallig. »Gleich; ich komme gleich!« sagte er.
    »Wonach guckst du denn so?« frug der junge.
    Der Knecht hob den Arm und wies stumm nach der Hallig. »Oha!« flüsterte der Junge; »da geht ein Pferd – ein Schimmel – das muß der Teufel reiten – wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?«
    – »Weiß nicht, Carsten, wenn's nur ein richtiges Pferd ist!«
    »Ja, ja, Iven; sieh nur, es frißt ganz wie ein Pferd! Aber wer hat's dahin gebracht; wir haben im Dorf so große Böte gar nicht! Vielleicht auch ist es nur ein Schaf; Peter Ohm sagt, im Mondschein wird aus zehn Torfringeln ein ganzes Dorf. Nein, sieh! Nun springt es – es muß doch ein Pferd sein!«
    Beide standen eine Weile schweigend, die Augen nur nach dem gerichtet, was sie drüben undeutlich vor sich gehen sahen. Der Mond stand hoch am Himmel und beschien das weite Wattenmeer, das eben in der steigenden Flut seine Wasser über die glitzernden Schlickflächen zu spülen begann. Nur das leise Geräusch des Wassers, keine Tierstimme war in der ungeheueren Weite hier zu hören; auch in der Marsch, hinter dem Deiche, war es leer; Kühe und Rinder waren alle noch in den Ställen. Nichts regte sich; nur was sie für ein Pferd, einen Schimmel, hielten, schien dort auf Jevershallig noch beweglich. »Es wird heller«, unterbrach der Knecht die Stille, »ich sehe deutlich die weißen Schafgerippe schimmern!«
    »Ich auch«, sagte der Junge und reckte den Hals, dann aber, als komme es ihm plötzlich, zupfte er den Knecht am Ärmel. »Iven«, raunte er, »das Pferdsgerippe, das sonst dabeilag, wo ist es? Ich kann's nicht sehen!«
    »Ich seh es auch nicht! Seltsam!« sagte der Knecht.
    – »Nicht so seltsam, Iven! Mitunter, ich weiß nicht, in welchen Nächten, sollen die Knochen sich erheben und tun, als ob sie lebig wären!«
    »So?« machte der Knecht; »das ist ja Altweiberglaube!«
    »Kann sein, Iven«, meinte der Junge.
    »Aber, ich mein, du sollst mich holen; komm, wir müssen nach Haus! Es bleibt hier immer doch dasselbe.«
    Der Junge war nicht fortzubringen, bis der Knecht ihn mit Gewalt herumgedreht und auf den Weg gebracht hatte. »Hör, Carsten«, sagte dieser, als die gespensterhafte Hallig ihnen schon ein gut Stück im Rücken lag, »du giltst ja für einen Allerweltsbengel; ich glaub, du möchtest das am liebsten selber untersuchen!«
    »Ja«, entgegnete Carsten, nachträglich noch ein wenig schaudernd, »ja, das möcht ich, Iven!«
    »Ist das dein Ernst? – dann«, sagte der Knecht, nachdem der Junge ihm nachdrücklich darauf die Hand geboten hatte, »lösen wir morgen abend unser Boot; du fährst nach Jeverssand; ich bleib so lange auf dem Deiche stehen.«
    »Ja«, erwiderte der Junge, »das geht! Ich nehme meine Peitsche mit!«
    »Tu das!«
    Schweigend kamen sie an das Haus ihrer Herrschaft, zu dem sie langsam die hohe Werft hinanstiegen.

Um dieselbe Zeit des folgenden Abends saß der Knecht auf dem großen Steine vor der Stalltür, als der Junge, mit seiner Peitsche knallend, zu ihm kam. »Das pfeift ja wunderlich!« sagte jener.
    »Freilich, nimm dich in acht«, entgegnete der Junge; »ich hab auch Nägel in die Schnur

Weitere Kostenlose Bücher