Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
I
DAS WIKINGERSCHIFF
Die Männer blieben auf dem Meer. So war das Leben. Das war früher geschehen, und es würde wieder geschehen, denn dies war das Los der Küstenbewohner, auf Osterøya und anderen Inseln und an anderen Fjorden.
Somit waren die Jungen Lauritz, Oscar und Sverre vaterlos geworden und auch die kleinen Mädchen Turid, Kathrine und Solveig.
Was dort draußen passiert war, wusste keiner, und für gewöhnlich erfuhr man es auch nie. Der Sturm war zwar schwer gewesen, wie das bei späten Februarstürmen manchmal der Fall war, aber Lauritz und Sverre waren fähige Segler, größer und stärker als die meisten und auf See groß geworden. Von ihnen sagte man halb im Scherz, dass sie zweifellos von den Wikingern abstammten. Ihr Vater war ebenso gewesen.
Man konnte es nur vermuten. Das Eis dürfte zu dieser Jahreszeit nicht die Ursache gewesen sein. Auch nicht, dass sie auf Grund gelaufen oder vom Kurs abgekommen und an einer Felswand zerschellt waren, dafür waren sie zu routinierte Seeleute, die die Fjorde und die Seewege aufs
offene Meer wie ihre eigenen schwieligen Handflächen kannten. Vielleicht hatten sie Mastbruch erlitten, oder sie hatten unerwartetes Glück beim Fischfang gehabt, und die Ladung war zu schwer geworden und hatte sich verschoben, als sie dem Sturm zu entkommen versuchten. Aber Vermutungen brachten einen auch nicht weiter.
Der Pastor kam nach einer Woche aus Hosanger herüber, als er sicher sein konnte, dass keine Hoffnung mehr bestand und dass die Verantwortung für die beiden Witwen von den Ehemännern an die Kirche übergegangen war. Er traf mit dem Dampfschiff in Tyssebotn ein und fragte sich von dort aus durch.
Frøynes Gård lag im Windschatten eines steinigen Hügels unweit des Dampfschiffanlegers. Auf dem Hof gab es zwei Wohnhäuser, was sehr ungewöhnlich war, einen Stall, zwei Scheunen und alte Vorratsspeicher, die zum Schutz vor Raubtieren auf hohen Pfosten standen. Alles war gut in Schuss und zeugte eher von bescheidenem Wohlstand als von der Armut, die sonst auf den Inseln verbreitet war. Die Brüder Eriksen waren fleißige, gottesfürchtige Männer gewesen und hatten gut für ihre Familien gesorgt. Sie hatten sogar ihr eigenes Fischerboot gebaut mit einem Laderaum, der doppelt so viel Platz für den Fang bot wie üblich.
Der Geistliche suchte die beiden Witwen, die bereits Trauerkleider trugen, in dem etwas größeren der beiden Wohnhäuser auf, in dem Lauritz’ Ehefrau Maren Kristine mit ihren drei Jungen wohnte. Die Jungen in ihren Sonntagskleidern saßen mit rot geränderten Augen auf einer der Wandbänke in der Stube und neben ihnen die drei kleinen Mädchen, Sverre Eriksens und Aagots Töchter, in schwarzen
Kleidchen. Der Pfarrer vermutete, dass es schwarz eingefärbte Sommerkleider waren. Die sechs Kinder boten einen herzerweichenden Anblick.
Die beiden Witwen saßen aufrecht und starr da, als sie dem Geistlichen zuhörten. Sie waren beherrscht, vergossen keine Tränen. Es war deutlich, dass ihnen ihre Würde wichtig war.
Worte des Trostes fand der Pastor keine, was hätte er auch sagen sollen? Er hielt sich ans Praktische. In Fällen, in denen keine Toten zu begraben waren, fand ein Gedenkgottesdienst statt, in dem am Schluss die Seelen der Verstorbenen gesegnet wurden. Man einigte sich auf den Tag.
Anschließend kam die schwierigere Frage, wie die Familien ohne das Einkommen aus dem Fischfang zurechtkommen würden. Die beiden Witwen waren jung, Anfang dreißig, wenn überhaupt so alt, und insbesondere Maren Kristine war eine auffällige Schönheit, rothaarig, sommersprossig und mit großen blauen Augen. Außerdem besaß sie einen nicht unbescheidenen Hof. Es würde ihr sicher nicht schwerfallen, einen neuen Mann zu finden. Das Gleiche galt für ihre Schwägerin.
Dieses anzusprechen wäre in diesem Moment äußerst unpassend gewesen, weshalb der Geistliche sich nach den in allernächster Zeit zu bewältigenden Aufgaben erkundigte. Zu essen gab es genug auf dem Hof: Schafe, Schweine und Hühner, außerdem vier Milchkühe. Da jetzt weniger Münder satt werden mussten, würden die Witwen Käse zum Verkauf herstellen können. Sie gaben an, auch Stoffe weben und färben zu können.
Wären die drei vaterlosen Mädchen älter gewesen, hätte man sie als Mägde in herrschaftliche Familien in Bergen
geschickt. Aber das kam nicht infrage, da die Älteste gerade erst neun Jahre alt war.
Bei den Knaben verhielt es sich anders, obwohl auch sie erst zwölf, elf und
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