Der Schritt hinueber - Roman
mehr, denn bei Axel hat es mit Mitleid zwar angefangen, aber es ist mehr geworden.
Sie wollte nicht schlafen. Das Licht konnte fortbrennen. Sie konnte zu sich selber sprechen darüber, und es störte sie nicht, daß nebenan in der Küche die beiden Flüchtlinge noch auf waren. Sie flüsterten miteinander. Das taten sie alle Tage. Endlos saßen sie im Dunkel und berieten Fluchtpläne, wie sie wohl am besten hinüberkämen, quer durch den Wald und zwischen den Posten hindurch, die dort freilich jede Ecke bewachten, Straßen, Kreuzungen, Übergänge.
Plötzlich Hufschlag und knirschender Aufprall draußen und Schritte von Stiefeln. Susanna schrak auf; sie blies die Lampe aus. Aber der Mann draußen mußte den Lichtschein schon gesehen haben, er schlug ans Fenster. Keine Antwort kam. Er ließ sich nicht täuschen. Oh, er hatte gute Augen, und hier drinnen war Licht gewesen! Kosanna! rief er. Sie konnte ihn sehen in der Mondhelligkeit, das verklebte Haar, bleich wie ausgewaschenes Stroh, die Brauen auch bleich, und das Gesicht von Schweiß überströmt.
Kosanna, ich will sprechen mit Ihnen!
Er ist wieder betrunken, dachte sie und rührte sich nicht. Und sprechen – nein, das ging nicht, daß er sie nun auch nachts hier aufsuchte!
Aber sie hatte sich nicht so rasch entschieden, stillzubleiben, hatte sich auch der Mann draußen entschieden, daß er nun nicht mehr immer bloß sprechen wollte. Die Liebesraserei hatte ihn gepackt wie an jenem Nachmittag die Machtraserei: ich habe doch Gewalt und will es ihr zeigen, ich werde einbrechen zu ihr in das Haus. Und Susanna, als sie das begriffen hatte und aufsprang und ans Fenster lief, um ihn zu beschwichtigen und festzuhalten – vom Haus fernzuhalten wegen der beiden Flüchtlinge, kam zu spät. Kolja war schon nicht mehr an der Haustür, deren Klinke er eben noch eingedrückt hatte, er war hinüber ans Hoftor gelaufen. Und nun erst hörten die in der Küche etwas und brachen ihr Flüstern ab und sprangen auf. So erzählten sie es hernach: sie hätten Geräusche gehört, eine Stimme und Poltern. Da seien sie eilig auf und in den Flur und von dort weg in den Hof. Aber dieses Stück im Mondlicht über den Hof – plötzlich habe mörderisch eine Stimme gebrüllt von außen hinter dem verriegelten Tor: Halt – halt! Aber bei dem zweiten Halt seien sie schon im Schatten an der Mauer gewesen, unsichtbar, und über den Balken hinweg in die Scheune und hinauf in ihren Heustock.
Ach, wäre ich doch ans Fenster gegangen, sagte da Susanna zitternd, ich hätte ihn schon gebändigt, ich hätte ihn schon zur Ruhe gebracht, und niemals hätte er euch entdeckt!
Aber so weit war es noch nicht, daß die beiden erzählen und Susanna ihnen erwidern konnte. Als sie erzählten, war es vorbei. Jetzt war es noch nicht vorbei. Jetzt stand Kolja außen am Tor und preßte sein Auge an das große runde Guckloch, und herinnen im Hof stand Susanna. Sie war gelaufen – zu spät, aber immer noch schnell genug, um zur Stelle zu sein und zu sagen: Kolja, da bin ich!
Aber der Mann draußen scherte sich jetzt darum nicht. Er war nicht mehr Kolja, der unterm Nußbaum spielte. Er knackte mit seiner Pistole. Ha, Kosanna! zuvor waren es zwei! Zwei Männer sind weggelaufen, zwei sind versteckt hier, überall habt ihr Dreckvolk Leute versteckt, verdammte Brut ihr! Aber ich hol sie heraus, diese zwei. Aufmachen!
Schweigen. In Susannas Kopf schwirrten die Gedanken, Schrecken und Mut flitzten aneinander vorbei.
Kosanna, aufmachen! Ich schieße den Riegel weg! Und wenn er nicht abgeht, zünd ich das Tor an!
Sie bückte sich zum Guckloch und fühlte nun das Auge des Kolja, sein lebendiges weißschimmerndes Auge, wo sonst ein Loch war in dem grauen morschen Holz. Sie sah sich selber in dem gelben Hemd und mit bloßen Füßen auf dem Pflaster des Hofs, sie sah ihren eigenen Schatten, sie wußte, was der Mann draußen sah. Sie sagte: Schießen Sie nur, Kolja – wenn Sie schießen, sehen Sie her! Das bin ich, die hier steht!
Kolja schoß nicht. Nein, er ließ sich dazu überreden, die Pistole einzustecken, – aber nicht ließ er sich überreden, zu glauben, daß hier niemand gewesen sei.
Kosanna, sagte er, ich habe sie gesehen, mit meinen beiden Augen!
Dieses Wort machte der jungen Frau nicht viel Eindruck. Sie fror in der Nachtkühle, und erst später, als Kolja dasselbe Wort noch einmal sagte, erinnerte sie sich daran: das hat er doch schon einmal gesagt – da hat es mich nicht getroffen, ach, warum trifft
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