1455 - Das Gewissen des Henkers
Dies hing mit den ungewöhnlichen und nicht zu erklärenden Geräuschen zusammen, die sie ab und zu vernommen hatte. In den ersten beiden Nächten war sie hochgeschreckt und hatte starr im Bett gesessen, und jetzt, in der dritten Nacht, hatte sie es in ihrem Bett nicht mehr ausgehalten.
Sie wollte nachschauen, denn die unheimlichen Laute waren immer recht schnell verklungen.
Natürlich hatte sie sich nicht im Dunkeln durch das Haus bewegt, sondern die Lampe eingeschaltet, die am Beginn der Treppe von der Decke hing.
Auf der dritten Stufe blieb sie stehen und lauschte ihrem klopfenden Herzschlag.
Wenn sie schluckte, spürte sie die Enge in der Kehle. Und so wartete sie starr und trotzdem innerlich zitternd auf eine Wiederholung der ungewöhnlichen Laute.
Okay, das Haus war alt. In alten Häusern gab es manchmal ungewöhnliche Geräusche, aber diese hier waren etwas anderes. Nicht zu vergleichen mit dem Knarzen von Holz oder einem Schaben, das von leisen Tritten stammte.
Warten.
Das Zeitgefühl hatte Fiona Lester verloren. Ihr Blick war nach oben gerichtet, hinein in das trübe Licht. Die dunkelhaarige Frau fröstelte. Die schwach beleuchtete Treppe kam ihr vor wie ein Tunnel, der irgendwo im Nichts endete. Oder dort, wo jemand lauerte, der diese Geräusche verursacht hatte.
Die Neugierde überwog. Es mochte daran liegen, dass Fiona sich vor einiger Zeit entschlossen hatte, den Beruf der Polizistin zu ergreifen. Da hatte sie einiges kennen gelernt. Sie hatte oft genug die eigene Angst überwinden müssen, wenn es galt, brutale Menschen zu stoppen. Doch bei diesen Aktionen war sie in der Regel nicht allein gewesen.
Das sah hier anders aus.
Kein Kollege gab ihr Rückendeckung. Sie musste der Ursache der Geräusche allein auf den Grund gehen.
Jetzt waren sie erneut zu hören.
Unheimlich klangen sie.
Kein Sprechen. Mehr ein Stöhnen oder schweres Atmen. Als hätte jemand Probleme damit, überhaupt ein Wort hervorzubringen. Und das war nicht alles. Hin und wieder vernahm sie auch ein ungewöhnliches Lachen. Es klang grollend und wies eine gewisse Ähnlichkeit mit entferntem Donner auf.
Bewaffnet war sie nicht. Das eine Küchenmesser hatte sie in der Schublade gelassen. Sie gab sich einen Ruck, als das Geräusch wieder mal verstummt war, und ging weiter.
Mit dem nächsten Schritt erreichte sie die vierte Stufe. Bei der fünften und sechsten würde die Treppe einen kleinen Bogen nach links beschreiben.
Sie lauschte ihrem eigenen Atem nach, der sich anhörte wie ein leises Pfeifen. Die Gänsehaut auf ihrem Rücken wollte nicht weichen.
Ihr Gesicht war angespannt, und Fiona versuchte ihren Atem zu kontrollieren. Sie hörte, dass etwas über ihr war, aber sie wusste nicht genau, was. Ob sich jemand bewegte oder einfach nur dort stand und lauerte.
Das lange Stehen und das angespannte Warten hatte sie verkrampfen lassen. Sie musste sich bewegen und ging die Treppe weiter hinauf. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen.
Ihr Blick fiel in den Gang.
Er hatte sich nicht verändert. Es war alles so geblieben wie sonst.
Niemand stand im Flur, um sie aufzuhalten oder anzugreifen.
Rechts und links zweigten jeweils zwei Türen ab. Die Wände zwischen ihnen waren bis auf das Gemälde an der rechten Seite leer, aber das alles hatte nichts zu sagen. Diese verdammten Geräusche waren keine Einbildung gewesen. Fiona hatte sich nicht verhört.
Mit einem wuchtigen Schritt ließ sie die letzte Stufe hinter sich.
Sie überlegte, ab sie die Türen zu den anderen Räumen aufstoßen sollte. Das ließ sie bleiben, denn etwas anderes war jetzt wichtiger.
Etwas störte sie gewaltig. Es lag nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern weiter vorn.
Ein rötliches Licht?
Sie schüttelte den Kopf und überlegte. War das Licht dort tatsächlich roter und intensiver geworden als im übrigen Flur? In den vergangenen Sekunden hatte sie sich wieder normaler gefühlt, doch das war nun wieder vorbei.
Die Furcht schoss in ihr hoch!
Schweiß brach aus ihren Poren, und sie erkannte, dass dieses ungewöhnliche Licht oder Leuchten nicht von der Deckenleuchte stammte. Es hatte seinen Ursprung an der rechten Wandseite, und zwar genau dort, wo das Gemälde hing.
Es war das einzige Bild hier oben, und Fiona hätte es nie in ihrem Leben aufgehängt. Um das zu tun, musste man wirklich eine besondere Beziehung dazu haben.
Es war das Porträt eines Mannes.
Sein Name: Lincoln Lester!
Sein Beruf: Henker!
Immer wenn sie daran dachte, musste sie
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