Der Schwarm
aufgeklärt, dass sie nicht tot sei, sondern noch größeres Glück gehabt habe als er. Der Körper des Piloten hatte sie abgefedert. Halb ohnmächtig war es ihr gelungen, sich aus dem sinkenden Wrack zu befreien. Innerhalb einer Minute war die kleine Maschine voll gelaufen. Die Besatzung der Whistler hatte Anawak und Delaware aus dem Wasser fischen können, aber der unglückliche Pilot war mit seiner DHC-2 in der Tiefe verschwunden.
Bei aller Tragik ließ sich die Aktion dennoch als Erfolg verbuchen. Danny hatte den Sender platziert. Der URA war den Walen gefolgt und hatte 24 Stunden Film auf Magnetband bannen können, ohne dass die Tiere den Roboter angegriffen hatten. Anawak wusste, dass die Aufzeichnungen in den frühen Morgenstunden an John Ford geschickt worden waren, und er hatte sich fest vorgenommen, dann im Aquarium zu sein. Außerdem hatte das Centre National d'Etudes Spatiales die bislang eingetroffenen telemetrischen Daten des Fahrtenschreibers freigegeben, den Lucy auf dem Rücken trug. Ohne den Absturz hätten sie allen Grund gehabt, sich auf die Schulter zu klopfen.
Stattdessen wurde alles nur schrecklicher. Immer mehr Menschen starben. Er selber war zweimal knapp dem Tod entgangen. Vielleicht, weil seine Wut auf Greywolf jedes andere Empfinden ausbrannte, hatte er Stringers Tod erstaunlich schnell verkraftet. Jetzt, zwei Tage nach dem Absturz, fühlte er sich elend. Wie befallen von einer Krankheit, die nach Jahren der Unterdrückung ihr Recht beanspruchte, auszubrechen. Sie ging einher mit Unsicherheit, Selbstzweifel und einem beunruhigenden Mangel an Kraft. Möglicherweise hielt ihn nach wie vor der Schock gefangen, aber eigentlich glaubte Anawak nicht recht daran. Da war noch etwas anderes. Ein Schwindel, der ihn von Zeit zu Zeit überkam, seit er aus dem Flugzeugwrack geschleudert worden war, Schmerzen in der Brust und Anflüge von Panik.
Nein, er war nicht wirklich gesund, und die Zerrung in seinem Knie war nicht das eigentliche Problem.
Anawak fühlte sich im Innersten versehrt.
Den Tag zuvor hatte er weitgehend verschlafen. Davie, Shoemaker und die Skipper waren ihn besuchen gekommen. Ford hatte mehrfach angerufen und sich nach ihm erkundigt. Ansonsten zeigte sich niemand sonderlich um ihn besorgt. Während Alicia Delaware von ihren Eltern und einem Haufen Bekannter gedrängt wurde, Vancouver Island zu verlassen – unvermittelt tauchte sogar ein fester Freund auf und machte eine zweijährige Beziehung geltend –, erschöpfte sich die Anteilnahme an Anawaks Schicksal auf den Kollegenkreis.
Er war krank und wusste, dass kein Arzt ihm würde helfen können.
Delaware stellte einen Becher frisch gebrühten Kaffee vor ihn hin und musterte ihn durch ihre blauen Brillengläser. Anawak schlürfte, verbrannte sich die Zunge und verlangte nach dem Funktelefon.
»Kann ich dich mal was Persönliches fragen, Leon?«, sagte sie.
Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Später.«
»Wann ist später?«
Anawak zuckte die Achseln und wählte Fords Nummer.
»Wir sind noch nicht durch mit den Sichtungen«, sagte der Direktor. »Lass dir Zeit und ruh dich aus.«
»Du hast Licia gesagt, ich soll mir selber eine Meinung bilden.«
»Ja, nachdem wir alles gesichtet haben. Das meiste ist langweilig. Bevor du extra herkommst deswegen, schauen wir lieber noch den Rest durch. Vielleicht kannst du dir den Weg dann sparen.«
»Na schön. Wann seid ihr fertig?«
»Keine Ahnung. Wir sitzen zu viert an den Bändern. Gib uns zwei Stunden. Nein, drei. Am besten, ich lasse dich am frühen Nachmittag rüberfliegen. Schick, was? Das ist wiederum der Vorteil von Krisenstäben. Man hat immer einen Hubschrauber parat.« Ford lachte. »Nicht, dass wir uns noch dran gewöhnen.« Er machte eine Pause. »Dafür hab ich was anderes für dich. Das heißt, mir fehlt im Augenblick die Zeit, es zu erzählen, aber besser wäre ohnehin, wenn du Rod Palm dazu anrufst.«
»Palm? Wozu?«
»Er hat vor einer Stunde mit Nanaimo und dem Institut für Ozeanische Wissenschaften konferiert. Du kannst auch mit Sue Oliviera sprechen, aber ich dachte, Palm sitzt direkt vor deiner Haustür.«
»Verdammt, John! Warum ruft mich keiner an, wenn es was zu erzählen gibt?«
»Ich wollte warten, bis du ausgeschlafen hast.«
Anawak beendete mürrisch das Gespräch und rief Palm an. Der Leiter der Forschungsstation auf Strawberry Isle war sofort am Telefon.
»Ah!«, rief er. »Ford hat mit dir gesprochen.«
»Ja. Hat er. Angeblich seid ihr
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