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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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bestritten. Inzwischen musste sie einräumen, zumindest in einigen Fällen die Verantwortung zu tragen. Der Punkt ist, dass wir immer noch zu wenig wissen. Wir kennen nur die Schädigungen bei toten Walen, und jeder entwickelt seine Theorie. Fenwick glaubt beispielsweise, unterseeischer Lärm könne auch zu kollektivem Wahnsinn führen.«
    »Unsinn«, knurrte Anawak. »Lärm raubt den Tieren die Orientierung. Sie greifen keine Schiffe an, sondern stranden.«
    »Ich finde Fenwicks Theorie erwägenswert«, sagte Delaware.
    »Ach ja?«
    »Warum denn nicht? Die Tiere drehen durch. Erst einige, dann nach Art einer Massenpsychose immer mehr.«
    »Licia, red keinen Mist! Wir wissen von Schnabelwalen, die vor den Kanaren strandeten, nachdem die NATO dort ihr Pow Wow durchführte. Kaum ein Tier reagiert auf Lärm so empfindlich wie ein Schnabelwal. Klar sind sie durchgedreht. Vor lauter Panik wussten sie sich nicht anders zu helfen, als ihr angestammtes Element zu verlassen, und schon lagen sie am Strand. Wale fliehen vor Lärm.«
    »Oder greifen den Urheber an«, hielt ihm Delaware trotzig entgegen.
    »Welchen Urheber? Schlauchboote mit Außenbordern? Wo bitte schön sind die denn laut?«
    »Dann hat's eben anderen Lärm gegeben. Unterwassersprengungen.«
    »Nicht hier.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es eben.«
    »Hauptsache, du hast Recht.«
    »Das sagst gerade du!«
    »Außerdem hat es Strandungen schon vor Jahrhunderten gegeben. Auch vor British Columbia. Es gibt alte Überlieferungen, die ....«
    »Weiß ich. Jeder weiß das.«
    »Und? Hatten die Indianer auch Sonar?«
    »Was um alles in der Welt hat das mit unserem Thema zu tun?«
    »Eine Menge. Walstrandungen lassen sich unreflektiert vor den ideologischen Karren spannen und ...«
    »Ich bin also unreflektiert?«
    Delaware blitzte ihn zornig an. »Alles, was ich sagen will, ist, dass Massenstrandungen nicht notwendigerweise etwas mit künstlich erzeugtem Lärm zu tun haben müssen. Umgekehrt kann Lärm vielleicht auch zu etwas anderem führen als zu Strandungen.«
    »He!« Palm hob die Hände. »Ihr streitet euch umsonst. Fenwick findet seine Lärmtheorie mittlerweile selber etwas löchrig. Okay, er hängt am kollektiven Wahnsinn, aber ... hört ihr mir überhaupt zu?«
    Sie sahen ihn an.
    »Also«, fuhr Palm fort, nachdem er sich ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit versichert hatte. »Fenwick und Oliviera fanden diese Gerinnsel und schlossen auf eine Deformation durch äußere Einwirkungen. Oberflächlich sahen sie aus wie Blutungen, also hielten sie sie auch dafür. Dann isolierten sie das Zeug und unterzogen es dem üblichen Procedere, wobei sie feststellten, dass die Substanz nur vom Blut der Wale durchtränkt war. Das Zeug selber ist eine farblose Masse, die sich an der Luft rasch zersetzt. Der Großteil war nicht mehr zu gebrauchen.« Palm beugte sich vor. »Aber einiges konnten sie doch untersuchen. Die Resultate decken sich mit den Ergebnissen einer Probenuntersuchung, die wenige Wochen zurückliegt. Sie hatten die Substanz aus den Köpfen der Wale schon einmal gesehen. In Nanaimo.«
    Anawak schwieg eine Sekunde.
    »Und was ist es?«, fragte er heiser.
    »Dasselbe, was du zwischen den Muscheln am Rumpf der Barrier Queen gefunden hast.«
    »Das Zeug aus den Walgehirnen und vom Schiffsrumpf ...«
    »Ist identisch. Die gleiche Substanz. Organische Materie.«
    »Ein Fremdorganismus«, murmelte Anawak.
    »Irgendetwas Fremdes. Ja.«
     
    Anawak fühlte sich ausgelaugt, obwohl er nur wenige Stunden auf den Beinen war. Er fuhr mit Delaware zurück nach Tofino. Das Knie behinderte ihn, als sie die Holzstiege vom Anlegeplatz zum Pier emporstiegen. Es behinderte sein Handeln und sein Denken. Er fühlte sich hilflos, deprimiert und allem Unangenehmen ausgeliefert.
    Mit zusammengebissenen Kiefern humpelte er in den verlassenen Verkaufsraum von Davies Whaling Station, holte eine Flasche Orangensaft aus dem Eisschrank und ließ sich in den Sessel hinter der Theke fallen. In seinem Kopf jagten einander die Gedanken mit derselben Sinnlosigkeit, mit der Hunde versuchen, ihre Schwänze zu fangen.
    Delaware kam ihm nach. Sie sah sich unschlüssig um.
    »Nimm dir was.« Anawak wies auf den Eisschrank. »Irgendwas.«
    »Der Wal, der das Flugzeug zum Absturz gebracht hat....«, begann sie.
    Anawak öffnete die Flasche und nahm einen tiefen Schluck. »Entschuldige. Ich hab dir nichts angeboten. Wie gesagt, bedien dich.«
    »Er hat sich verletzt, Leon. Vielleicht ist er

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