Der Schwarm
hatte das Gefühl, in Treibsand zu versinken.
Er lief abwechselnd zu Suess und zu Mirbach, die den Computer unentwegt neue Szenarien durchrechnen ließen, mit immer fataleren Ergebnissen. Zwischendurch versuchte er Sigur Johanson zu erreichen, aber der ging nicht ran. Er versuchte es in Johansons Sekretariat an der NTNU, und man sagte ihm, der Doktor sei verreist und käme wohl auch nicht zur Vorlesung. Genau genommen käme er auf unabsehbare Zeit gar nicht mehr. Er sei für andere Aufgaben freigestellt worden, offenbar im Auftrag der Regierung. Bohrmann konnte sich ungefähr denken, welche Aufgaben das waren. Er versuchte es bei Johanson zu Hause. Dann wieder auf dem Handy. Nichts.
Schließlich besprach er sich ein weiteres Mal mit Suess.
»Es muss doch sonst noch jemanden geben aus Johansons Dunstkreis, der fähig ist, eine Entscheidung zu treffen«, sagte Suess.
Bohrmann schüttelte den Kopf.
»Alles Statoil-Leute. Da können wir's genauso gut für uns behalten. Und was Vertraulichkeit angeht – wenn wir das Thema weiter vertraulich behandeln, und es kommt zum Storegga-Effekt, wird man uns das dermaßen dick aufs Brot schmieren, dass es keiner schlucken kann.«
»Also, was machen wir?«
»An Statoil gehe ich jedenfalls nicht ran.«
»Schon gut.« Suess rieb sich die Augen. »Du hast ja Recht. Also wenden wir uns ans Ministerium für Forschung und Entwicklung und an die Umweltbehörde.«
»In Oslo?«
»Und in Berlin. Und Kopenhagen. Und Amsterdam. Ach ja, London. Hab ich was vergessen?«
»Reykjavik.« Bohrmann seufzte. »Du lieber Himmel. Okay, so machen wir's.«
Suess starrte aus dem Fenster seines Büros. Von hier aus konnte man über die Kieler Förde sehen. Auf die gewaltigen Krananlagen, wo die Schiffe beladen wurden, auf die Kontore und Silos. Ein Zerstörer der Marine verschwamm im Grau von Wolken und Wasser.
»Was sagen deine Simulationen eigentlich über Kiel?«, fragte Bohrmann. Seltsam, dass er darüber noch gar nicht richtig nachgedacht hatte. Hier, so nah am Wasser.
»Es könnte gut gehen.«
»Immerhin ein Trost.«
»Versuch trotzdem, Johanson zu erreichen. Versuch es immer wieder.«
Bohrmann nickte und ging nach draußen.
Deep Rover , norwegischer Kontinentalhang
Von unermesslicher Weite konnte keine Rede sein, als Eddie die sechs Außenscheinwerfer einschaltete. Je 150 Watt aus vier Quartz-Halogen-Strahlern und zwei 400-Watt-HMI-Leuchten tauchten ein Gebiet im Radius von etwa fünfundzwanzig Metern in gleißendes Licht. Feste Strukturen waren nicht auszumachen. Stone blinzelte irritiert nach der langen Fahrt durch die Dunkelheit. Das Deep Rover fiel durch einen Vorhang aus schimmernden Perlen.
Er beugte sich vor.
»Was ist das?«, fragte er. »Wo ist der Meeresboden?«
Dann erkannte er, was um sie herum aufstieg. Es waren Blasen. Sie trudelten zur Oberfläche, einige klein und wie auf Schnüre gereiht, andere plump und eiernd.
Das Sonar ließ weiter sein charakteristisches Pfeifen und Klicken hören. Eddie studierte mit zusammengezogenen Brauen die LED-Anzeigen der Konsole, die Aufschluss über den Zustand der Batterien, über Innen- und Außentemperatur, Sauerstoffvorrat, Kabinendruck und so weiter gaben, und rief die Messdaten der Außenfühler ab.
»Herzlichen Glückwunsch«, knurrte er. »Es ist Methan.«
Der Perlenvorhang wurde dichter. Eddie klinkte zwei Stahlgewichte aus, die seitlich der Kufen befestigt waren, und presste zusätzliche Luft in die Tanks, um das Tauchboot in eine stabile Position zu bringen. Sie hätten nun schweben müssen, aber stattdessen sanken sie weiter.
»Wir kriegen den Arsch nicht hoch. Ich glaub's nicht!«
Im Licht der Scheinwerfer tauchte der Boden unter ihnen auf. Er kam ihnen entgegen, viel zu schnell. Stone erhaschte einen Blick auf Spalten und Löcher, dann war alles wieder voller Blasen. Eddie fluchte und blies weiteres Wasser aus den Tanks.
»Was ist denn los?«, wollte Stone wissen. »Haben wir Probleme mit dem Auftrieb?«
»Schätze, es ist das Gas. Wir sind mitten in einem Blowout.«
»So ein Mist.«
»Nur die Ruhe.«
Der Pilot warf die Propeller an. Das Boot begann sich durch die Schnüre aus Blasen vorwärts zu bewegen. Stone verspürte kurz ein Gefühl wie in einem sanft abstoppenden Fahrstuhl. Sein Blick suchte den Tiefenmesser. Das Deep Rover fiel immer noch, nun aber langsamer. Dennoch näherten sie sich dem Boden mit hoher Geschwindigkeit. Nicht lange, und sie würden aufschlagen.
Er biss sich auf die Lippen
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