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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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schlug. Der Mensch würde die Kontrolle verlieren. Und die Maschine hatte keinen Sinn für Leben und Umwelt, sie hatte kein Verständnis für die Interessen ihrer Erbauer, die sich selber wegrationalisierten, sie zeichnete sich durch keinerlei Menschlichkeit und Verständnis aus.
    Langsam schwand das Licht. Der Himmel wurde noch grauer, und nieseliger Regen setzte ein.
    Was für ein Scheißtag, dachte Jörensen.
    Nicht genug, dass es seit einiger Zeit über dem Meer stank, als sei das Wasser voller Chemikalien. Jetzt wetteiferte auch noch das Klima mit seiner Laune um den Tiefpunkt der Trübsinnigkeit.
    Im Grunde arbeiten wir auf einer Ruine, dachte Jörensen. Eine Geisterstadt im Meer, voller Zombies, von denen einer nach dem anderen exorziert wird. Sind die Vorkommen erschöpft, bleibt ein Gerippe ohne Funktion. Die Ölarbeiter werden entsorgt, die Plattformen werden entsorgt, und die Zukunft schauen wir uns im Fernsehen an. Videoaufzeichnungen aus einer Welt, in die wir nicht vordringen können, wenn es erforderlich wird.
    Jörensen seufzte.
    Waren das Überlegungen, die irgendjemandem weiterhalfen? Zu einfach gestrickt? Zu einseitig, engstirnig, selbstgerecht? Das Auto hatte das Ende der Droschkenkutscher bedeutet. Damals hatte es viel billiges Pferdefleisch gegeben, und Existenzen waren vernichtet worden. Aber wer wollte noch Droschken? Wahrscheinlich hatten aufs Ganze gesehen die anderen Recht, und er war ein alter Mann, der es einfach nur hasste, in Pension zu gehen.
    Ganz früher, erinnerte er sich, hatte es diesen magischen Moment gegeben. Als schwarz glänzende Männer, triefend vor Öl, einander in die Arme gefallen waren, während aus dem sandigen Boden hinter ihnen eine Fontäne steil in den Himmel schoss, die unermesslichen Reichtum verhieß. War das wirklich so gewesen? In Giganten gab es diese Szene mit James Dean. Jörensen liebte den Film. Er mochte die Szene mit Dean weit mehr als die mit Bruce Willis in Armageddon, obwohl die auf einer richtigen Plattform spielte und Giganten in der texanischen Wüste. Den lachenden, wild umherspringenden, schwarz gesprenkelten James Dean zu sehen war ein bisschen, als säße man auf Großvaters Schoß und ließe sich von damals erzählen, als Opa selber noch jung und überhaupt alles besser war. Und man lauschte und glaubte jedes Wort und glaubte es doch wieder nicht.
    Opa. Genau! Er war ein Opa.
    Wenige Monate noch, dachte Jörensen. Dann hab ich's hinter mir. Aus, passee. Mir wird es jedenfalls besser gehen als denen, die heute jung sind. Mich können sie nicht mehr wegrationalisieren, ich höre von selber auf, und Rente gibt es auch noch. Fast könnte man sich schuldig fühlen abzuhauen, bevor das Ende über die Inseln kommt. Aber es ist dann nicht mehr mein Problem. Ich werde andere haben.
    Ein Geräusch näherte sich von der weit entfernten Küste her. Ein rhythmisches Dröhnen, das zum Knattern eines Helikopters wurde.Jörensen legte den Kopf in den Nacken. Er kannte alle Modelle, die hier verkehrten. Selbst auf die Entfernung und trotz der schlechten Wetterverhältnisse sah er, dass ein Bell 430 über Gullfaks hinwegzog und im Dunst verschwand. Das Schlagen der Rotorblätter wurde wieder zu einem Wummern, entfernte sich und erstarb schließlich ganz.
    Staubfeine Regenpartikel überzogen das Geländer mit feuchtem Glanz. Jörensen überlegte, ob er ins Innere gehen sollte. Er hatte eine Stunde Leerlauf, was selten genug vorkam, und er konnte fernsehen oder lesen oder sich mit jemandem zum Schach treffen. Aber er hatte keine Lust hineinzugehen. Nicht heute, da ihm zumute war, als bewohne er einen stählernen Sarg. Nicht auch noch ins Innere und sich begraben lassen. Wenigstens das Meer sah aus wie immer, grau, zerklüftet, ein stetiges Auf und Ab.
    Weit hinter dem Turm, an der Spitze des Auslegers, brannte blass die Gasflamme. Das Leuchtfeuer der Verlorenen. Hey, das war gut! Das klang wie ein Filmtitel! Nicht schlecht für einen alten Sack, der seit Jahr und Tag den Hubschrauber- und Schiffsverkehr überwachte.
    Vielleicht sollte er ein Buch schreiben nach seiner Pensionierung. Über die Zeit, an die man sich in wenigen Jahrzehnten kaum noch würde erinnern können. Die Zeit der großen Plattformen.
    Und der Titel würde lauten: Das Leuchtfeuer der Verlorenen.
    Opa, erzähl uns eine Geschichte.
    Jörensens Laune besserte sich etwas. Gar keine schlechte Idee, das. Vielleicht war es ja doch kein solcher Scheißtag.
     
     
    Kiel, Deutschland
    Gerhard Bohrmann

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