Der Schwarm
ihnen erscholl ein Klonk, als sich die Trossen lösten. Das Boot senkte sich hinab, wurde von einer Wellehochgehoben, dann schoss gurgelnd Meerwasser in die Kufen, als Eddie die Tanks flutete. Die See schlug über der Kugel zusammen. Wie ein Stein begann das Deep Rover zu sinken, rund dreißig Meter in der Minute. Stone starrte hinaus. Bis auf zwei kleine Positionsleuchten an den Kufen waren alle Lichter ausgeschaltet. Es galt Strom zu sparen, den sie unten brauchen würden.
Kaum Fische ließen sich blicken. Nach hundert Metern verdunkelte sich das tiefe Blau der See und ging in samtene Finsternis über.
Draußen blitzte etwas auf wie ein Feuerwerkskörper. Erst einmal, dann überall um sie herum.
»Leuchtquallen«, sagte Eddie. »Nett, nicht?«
Stone war fasziniert. Er hatte schon einige Tauchgänge hinter sich, aber noch keinen im Deep Rover. Es schien tatsächlich, als sei nichts zwischen ihnen und dem Meer. Selbst die rot glimmenden Kontrolllampen der Konsole und Bedieninstrumente schienen sich zu den Schwärmen fluoreszierender Tierchen gesellen zu wollen, die draußen vorbeiwimmelten. Der Gedanke, dass in diesem fremdartigen Universum seine Fabrik stehen sollte, erschien ihm plötzlich dermaßen absurd, dass er kurz davor stand loszulachen.
Ich bin der Initiator dieses Projekts, dachte er. Sollte ich zu lange am Schreibtisch gesessen haben, dass ich mir selber nicht mehr vorstellen kann, wie die Wirklichkeit beschaffen ist?
Er streckte die Beine aus, so weit es ging. Sie redeten wenig, während es weiter abwärts ging. Mit zunehmender Tiefe kühlte es im Innern der Kugel ab, ohne dass es wirklich ungemütlich wurde. Im Vergleich zu Tauchbooten wie Alvin, MIR oder Shinkai, die in 6000 Meter Tiefe vorstießen, verfügte das Deep Rover über ein geradezu luxuriöses System zur Regulierung der Innentemperatur. Vorsorglich hatte Stone dicke Socken angezogen – Schuhe waren in Tauchbooten nicht erlaubt, um nicht durch zufällige Tritte Instrumente zu zerstören – und einen warmen, wollenen Pullover. Trotz der Kühle war ihm behaglich. Eddie neben ihm wirkte entspannt und konzentriert. Hin und wieder drang eine lärmende Stimme aus dem Lautsprecher, Kontrollanrufe des Technikers auf der Thorvaldson. Die Worte waren verständlich, aber verzerrt, weil sich die Schallwellen mit tausend anderen Geräuschen unter Wasser mischten.
Sie fielen und fielen.
Nach fünfundzwanzig Minuten schaltete Eddie das Sonar ein. Leises Pfeifen und Klicken durchzog die Sphäre, überlagert vom sanften Brummen der Elektronik.
Sie näherten sich dem Grund.
»Popcorn und Cola bereithalten«, sagte Eddie. »Jetzt gibt's Kino.«
Er schaltete die Außenscheinwerfer ein.
Gullfaks C, norwegischer Schelf
Lars Jörensen stand auf der obersten Plattform des stählernen Treppenschachts, der vom Hubschrauberlandeplatz zum Wohntrakt führte, und sah auf den Bohrturm. Er hatte die Arme über dem Geländer verschränkt. Die Spitzen seines weißen Schnurrbarts zitterten im Wind. An klaren Tagen schien der Turm zum Greifen nahe, aber heute entrückte er zusehends. Mit jeder Stunde, die sich der Dunst vor dem nahenden Sturm verdichtete, wurde er unwirklicher, als wolle er vollständig verblassen und zur bloßen Erinnerung werden.
Seit Lunds letztem Besuch fühlte Jörensen sich immer schwermütiger werden. Er dachte darüber nach, was Statoil am Kontinentalhang bauen mochte. Ohne Zweifel planten sie eine vollautomatische Fabrik. Vielleicht würde sie mit einem Produktionsschiff verbunden sein. Lund war wohl der Meinung gewesen, sie hätte ihn mit ihren Antworten abgewimmelt, aber Jörensen war ja nicht blöde. Er hatte sogar Verständnis dafür, wie sie vorgingen, und dass sie Menschen einsparten, um sie durch Maschinen zu ersetzen. Es ergab durchaus Sinn. Eine Maschine legte keinen Wert auf gute Küche wie Lars Jörensen, sie schlief nicht, arbeitete unter lebensfeindlichen Bedingungen und wollte keinen Lohn dafür. Sie beklagte sich nicht, und wenn sie in die Jahre kam, konnte man sie notfalls auf den Müll werfen und musste sich nicht um ihr weiteres Wohlergehen sorgen. Andererseits fragte er sich, wie ein Roboter je Augen und Ohren ersetzen und intuitiv Entscheidungen treffen sollte. Ohne Menschen gab es kein menschliches Versagen, sicher. Aber wenn Maschinen versagten, ohne dass Menschen in der Nähe waren, würde es kommen wie in den utopischen Filmen, die er oft spätnachts noch sah, wenn draußen die See gegen die Pfeiler
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