Palast der Suende - Roman
Erstes Kapitel
Claire Savage schaltete das Licht aus und warf noch einmal einen prüfenden Blick in die Schatten ihres Büros. Sie sah die Umrisse ihres Schreibtischs, die Aktenschränke, das Ledersofa. Alles wie immer. Nur das neue Aquarium stand leuchtend und noch so unvertraut im Halblicht. Die Fische flitzten herum. Sie lächelte. Das Aquarium war ein Luxus, aber als Geschäftsführerin hatte sie ihn sich verdient, fand sie. Und der Himmel war ihr Zeuge, daß sie hart genug dafür gearbeitet hatte. Aber nun, nach fünf Jahren, war Barker and Savage eine der erfolgreichsten Werbeagenturen im Vereinigten Königreich und erzielte einen Umsatz, der einen Krösus erröten lassen würde.
Sie ging um den Schreibtisch herum und wollte die Aquariumbeleuchtung ausschalten, als ihr Blick auf etwas fiel, das unter einem Papierstapel lag. Sie zog den Bilderrahmen heraus und schaute das Gesicht an, das sie anstrahlte.
Sean.
Trotz allem, was zwischen ihnen geschehen war, spürte Claire immer noch ein Zucken in der Magengrube. Sie fuhr mit einer Fingerspitze über das Gesicht mit den hoch angesetzten Wangenknochen. Sean mit dem schiefen gefährlichen Lächeln. Sie seufzte. Der Erfolg der Agentur hatte seinen Preis, und dieser Preis war ihre Ehe gewesen.
Wenn sie nicht so tief in ihre Arbeit verstrickt gewesen wäre, hätte sie die warnenden Anzeichen bestimmt bemerkt:
Seine langen Abende im Studio, die Kunden, um die er sich an den Wochenenden kümmern mußte, die unerwarteten Blumen, die er ihr mitbrachte – zweifellos, um sein Gewissen zu besänftigen.
Aber so, wie die Dinge lagen, hatte sie keinen blassen Schimmer gehabt, daß Sean eine andere hatte, bis diese Frau sie angerufen und es ihr selbst gesagt hatte. Dann hatte Claires Stolz ihr keine andere Wahl gelassen, als Sean zu sagen, er sollte gehen. Sie wußte, daß sie der Frau damit einen Gefallen tat, aber sie konnte nicht über ihren eigenen Schatten springen. Die Verletzung und das Gefühl, von ihm verraten worden zu sein, saßen zu tief. So war ihre Ehe nach zehn Jahren gescheitert – sie hörte jetzt noch, wie er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte.
Claire legte das Bild in eine Schublade und schaltete die Aquariumbeleuchtung aus. Auf dem Weg zur Toilette fragte sie sich, wie sie die Nacht überstehen konnte: Sie hatte – mehr aus Trotz – zwei Wochen Venedig gebucht, hatte aber keine Freude daran, allein zu fliegen. Ihre Freundin Cherry hatte angeboten, mit ihr zu reisen, und von da an hatte die Zeit bis zum Urlaub nicht schnell genug vergehen können. Sie konnte es kaum erwarten. Cherry war verwegen, direkt und offenherzig, und Claire konnte sich darauf verlassen, von ihren Problemen abgelenkt zu werden.
Claire schlüpfte in eine der hell erleuchteten Kabinen, und gleich darauf hörte sie, wie sich die Tür öffnete.
»...und dann habe ich ihr gesagt, sie solle ihren verdammten Bericht selbst schreiben.«
»Hast du das wirklich gesagt?«
»Darauf kannst du dich verlassen. Diese blöde Kuh.«
Claire erkannte die Stimmen. Sie gehörten zwei jüngeren
Sachbearbeiterinnen, die offenbar nicht damit rechneten, daß jemand in einer der Kabinen war – am allerwenigsten rechneten sie damit, daß die Geschäftsführerin sie belauschte.
»Hast du den Knaller gesehen, der zu Felicitys Gruppe gestoßen ist?«
»Der Neue? Wie heißt er noch?«
»Nick Fisher.«
»Oh, ja, Nick. Sehr süß. Aber ein bißchen jung und harmlos für mich, meine Liebe.«
Susan kicherte. »Jung stimmt, aber vielleicht nicht so harmlos, wie du denkst.«
»Wieso? Wie meinst du das?«
»Er überraschte mich dabei, als ich mir im Flur die Strümpfe richtete. Der arme Junge erstickte fast an seinem roten Kopf. Aber ich sah, daß sich seine Hose gewaltig spannte.«
Deborah stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Was er braucht, ist eine ältere Frau, die ihm zeigt, wo’s langgeht.«
Susan kicherte wieder. »Ich weiß ganz genau, was du an ihm lang haben willst.«
»Ich werde wohl nie in die Verlegenheit kommen. Susie«, sagte Deborah mit einem Seufzer. »Er würde wahrscheinlich wie der Blitz davonrennen, wenn ich versuchte, mich an ihn ranzumachen. Das arme Schaf.«
»Das würde er bestimmt, wenn er dich jetzt sehen könnte – du hast Lippenstift auf deinen Zähnen.«
»Wo?«
»Da. Wisch mal drüber, ja, so ist es besser. Und was machen wir jetzt? Hast du Lust auf einen Spritzer 1 im Trout?«
Die Stimmen der Frauen wurden leiser, dann hörte Claire, daß sie die Toilette
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