Der Schwarm
Sie sich, dass die da unten so viel über uns wissen? Ich meine, Ihre Theorie in allen Ehren, aber wie kann ein Bewohner der Tiefsee derart viel über uns herausfinden?«
Johanson sah Vanderbilt und Rubin beifällig nicken.
»Das ist nicht schwer«, sagte er. »Wenn wir einen Fisch sezieren, geschieht das in unserer Welt, nicht in seiner. Warum sollten diese Wesen ihr Wissen nicht in ihrer Welt erlangen? Jedes Jahr ertrinken eine Menge Menschen, und falls man weitere Exemplare braucht, holt man sich eben welche. – Andererseits haben Sie Recht: Wie viel wissen die wirklich über uns? Kurz vor dem Abrutschen des Schelfs war ich erstmaligso weit, an einen organisierten Angriff zu glauben. Seltsamerweise habe ich nie in Erwägung gezogen, dass Menschen dahinter stecken könnten. Zu fremdartig erschien mir die ganze Strategie. Wie auf einen Schlag große Teile der nordeuropäischen Infrastruktur vernichtet wurden, war brillant geplant und mit weit reichenden Folgen für uns verbunden. Kleine Boote durch Wale versenken zu lassen erscheint dagegen naiv. Die Überfischung der Meere stoppt man nicht mit hochgiftigen Quallenschwärmen. Schiffskatastrophen treffen uns hart, aber ob diese mutierten Schwärme die weltweite Schifffahrt wirklich lahm legen können, wage ich zu bezweifeln. Allerdings fällt auf, dass sie sehr genau über Schiffe Bescheid wissen. Alles, was unmittelbar ihren Lebensraum berührt, kennen sie gut. Die Welt darüber ist ihnen weniger vertraut. Killeralgen in Krabben über Land zu schicken, zeugt von exzellenter militärischer Planung, aber der Anfang mit den bretonischen Hummern war eher misslungen. Offenbar hatten sie das Problem des Unterdrucks nicht bedacht. Als die Gallerte da unten in die Hummerkörper schlüpfte, war sie durch den Tiefendruck komprimiert. Zur Oberfläche hin dehnte sie sich natürlich aus, und einige der Hummer platzten.«
»Bei den Krabben scheint man dazugelernt zu haben«, meinte Oliviera. »Sie bleiben stabil.«
»Na ja.« Rubin schürzte die Lippen. »Sie krepieren, kaum dass sie an Land sind.«
»Warum auch nicht?«, erwiderte Johanson. »Ihre Aufgabe ist erfüllt. Alle diese Züchtungen sind zum schnellen Sterben verurteilt. Sie sollen unsere Welt bekämpfen, nicht besiedeln. – Wohin Sie auch schauen in diesem Krieg, Menschen würden so nicht vorgehen! Warum der Umweg übers Meer? Warum sollte sich ein Mensch in derartige Experimente versteigen? Welchen vernünftigen Grund hätte er, ausgerechnet die Gene von Lebewesen zu verändern, die viele Kilometer unter Wasser leben wie beispielsweise Schlotkrabben? Hier sind keine Menschen am Werk. Hier wird experimentiert, um herauszufinden, wo unsere Schwachstellen sind. Und vor allem wird abgelenkt.«
»Abgelenkt?«, echote Peak.
»Ja. Der Feind macht viele Fronten gleichzeitig auf. Einige bescheren uns Alpträume, andere sind eher lästig, aber sie halten uns auf Trab. Die meisten der verabreichten Nadelstiche schmerzen gewaltig. Das eigentlich Perfide daran ist, dass sie verschleiern, was wirklich geschieht. Dass wir vor lauter Schadensbegrenzung blind für die wirklichen Gefahren werden. Wir finden uns in der Rolle des Zirkusjongleurs, der Teller auf Stöcke stellt und sie in Drehung versetzt, damit sie nichtherunterfallen können. Er muss ständig zwischen den Stöcken hin- und herlaufen. Hat er den letzten Teller stabilisiert, wackelt der erste. Je mehr Teller es werden, desto schneller muss er laufen. In unserem Fall hat die Anzahl der Teller die Fähigkeiten des Jongleurs weit überschritten. Wir werden dieser Vielzahl von Attacken nicht gewachsen sein. Für sich betrachtet mögen Walangriffe und ausbleibende Fischschwärme kein unlösbares Problem darstellen. In der Summe erfüllen sie ihren Zweck, nämlich uns zu lähmen und zu überfordern. Wenn sich die Phänomene weiter ausbreiten, werden ganze Staaten die Kontrolle verlieren, andere Staaten werden das ausnutzen, es wird zu regionalen und größeren Konflikten kommen, die aus dem Ruder laufen und für niemanden zu gewinnen sind. Wir werden uns selber schwächen. Die Strukturen der internationalen Hilfsorganisationen werden in sich zusammenbrechen, die medizinischen Versorgungsnetze zum Erliegen kommen. Wir werden nicht genügend Mittel, Kraft, Know-how und schließlich nicht genügend Zeit haben, um zu verhindern, was sich abseits der offenen Kampfhandlungen im Stillen vollzieht.«
»Und was soll das sein?«, fragte Vanderbilt gelangweilt.
»Die Vernichtung
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