Der Schwarm
wusste nicht, was sie erwartete. Ihr war mulmig beim Gedanken, die Tür zum Labor wieder zu öffnen. Aber wenn sie den Plan in die Tat umsetzen wollten, bot das Labor die einzige Chance.
Der Boden bebte. Unmittelbar unter ihren Füßen rauschte und gurgelte es. Johanson lehnte schwer atmend neben ihr.
»Mach schon«, sagte er.
Weaver sah das rote Emergency-Symbol über dem Tastenfeld blinken. Li hatte es tatsächlich geschafft, noch im Herauslaufen die Notverriegelung zu betätigen und das Labor hermetisch abzuriegeln. Siedrückte die Zahlenkombination, und die Tür glitt auf. Wasser schwappte ihnen entgegen und umfloss ihre Beine. Es schoss aus dem hell erleuchteten Raum, aber anstatt die Rampe herunterzufließen, sammelte es sich um ihre Knöchel und stieg. Plötzlich wusste Weaver auch, warum. Die Independence hing so schief, dass es nicht über die Rampe zum Welldeck abfließen konnte. Wahrscheinlich hatte sich dieser Teil der Rampe infolge der Neigung schon in ebenen Boden verwandelt.
Sie wich zurück.
»Wir müssen aufpassen«, sagte sie. »Das Zeug könnte nach draußen gelangt sein.«
Johanson warf einen Blick ins Innere. In unmittelbarer Nähe des zerborstenen Tanks sah er zwei leblose Körper treiben. Mit vorsichtigen Schritten watete er durch den Sog des ausströmenden Wassers in die große Halle. Weaver folgte ihm. Ihr erster Blick galt den Containern des Hochsicherheitslaboratoriums, aber sie waren augenscheinlich unversehrt. Sie verspürte Erleichterung. Eine Verseuchung mit Pfiesterien war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten.
Zum Heck hin stieg der Boden sanft aus dem Wasser. Dafür stand es zur anderen Seite umso höher.
»Sie sind alle tot«, flüsterte Weaver.
Johanson kniff die Augen zusammen. »Da!«
Ein Stück neben den Soldaten trieb ein weiterer Körper.
Es war Rubin.
Weaver schluckte ihren Abscheu und ihre Angst herunter. »Einen davon brauchen wir«, sagte sie. »Welchen, ist egal.«
»Dafür müssen wir tiefer rein.«
»Ja. Nicht zu ändern.«
Sie setzte sich in Bewegung.
»Karen, pass auf!«
Das war Johanson. Sie wollte sich umdrehen, als etwas von hinten gegen sie prallte. Ihre Füße rutschten weg. Mit einem Aufschrei landete sie im Wasser, kam prustend hoch und drehte sich auf den Rücken.
Einer der Soldaten stand dort und hielt sie und Johanson mit einem massigen, schwarzen Gewehr in Schach.
»Oh nein«, sagte er gedehnt. »Oooh, nein.«
Sein Blick spiegelte eine Mischung aus Todesangst und einsetzendem Wahnsinn. Weaver richtete sich langsam auf und hob die Hände, sodass er ihre Handflächen sehen konnte.
»Oh nein«, wiederholte der Mann.
Er war sehr jung. Weaver schätzte ihn auf neunzehn. Das Gewehr inseinen Händen zitterte. Er wich einen Schritt zurück und ließ seine Blicke zwischen ihr und Johanson hin- und herwandern.
»Hey«, sagte Johanson. »Wir wollen Ihnen helfen.«
»Ihr habt uns eingeschlossen«, sagte der Soldat. Es klang weinerlich, als sei er kurz davor loszuschreien.
»Das waren nicht wir«, sagte Weaver.
»Ihr habt uns mit ... mit diesem ... Ihr habt uns damit allein gelassen.«
Das fehlte noch. Die Independence sank, sie mussten Li aufhalten, irgendwie an einen der Toten kommen, um den Plan durchzuführen, und jetzt bekamen sie es auch noch mit diesem in Panik geratenen Jungen zu tun.
»Wie heißen Sie?«, fragte Johanson unvermittelt.
»Was?« Die Augen des Soldaten flackerten. Dann riss er das Gewehr hoch und richtete es auf Johanson.
»Nein!«, schrie Weaver.
Johanson hob die Hand zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Er sah in die Mündung der Waffe und senkte seine Stimme.
»Bitte sagen Sie uns Ihren Namen.«
Der Soldat zögerte.
»Es ist wichtig, dass wir Ihren Namen kennen«, wiederholte Johanson im Tonfall des freundlichen Herrn Pfarrers.
»MacMillan. Ich bin ... ich heiße MacMillan.«
Allmählich begriff Weaver, was Johanson vorhatte. Der erste Weg, jemanden in die Normalität zurückzuholen, bestand darin, ihm ins Gedächtnis zu rufen, wer er war.
»Gut, MacMillan, sehr gut. Hören Sie, wir brauchen Ihre Hilfe. Dieses Schiff sinkt. Wir müssen ein Experiment durchführen, das uns alle retten könnte ...«
»Uns alle?«
»Haben Sie Familie, MacMillan?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Wo lebt Ihre Familie?«
»Boston.« Die Gesichtszüge des Jungen verzogen sich. Er begann zu weinen. »Aber Boston ist...«
»Ich weiß«, sagte Johanson eindringlich. »Hören Sie, wir können noch etwas tun, um
Weitere Kostenlose Bücher