Der Schwarm
Esoterische Zirkel haben Hochkonjunktur, neue Bewegungen entstehen, archaische Naturreligionen erleben ihre Renaissance. Von den alten Sekten schlagen sich die Mormonen noch am wackersten, deren Gott sagt: Ich habe unzählige Welten erschaffen! Aber warum Er im selben Spielzimmer zwei Kinder großgezogen hat, können auch die Mormonen nicht beantworten.
Das Letzte, was ich hörte, war, dass ein katholischer Bischof mit einer Delegation aus Rom die Ozeane rauf- und runterfährt, Weihwasser in die Wellen sprenkelt und dem Teufel befiehlt, sich davonzumachen. Bemerkenswert. Als Spezies, die es gewohnt war, Gottes Grundsätze zu verhöhnen und seine Schöpfung zu schänden, entsenden wir nun einen seiner angeblichen Vertreter, um den Feind zur Räson zu bringen. Wir haben die Stirn, uns als Anwalt eines Schöpfers zu gebärden, dessen Auftrag wir verspielt haben. Es ist, als wollten wir Gott das Evangelium predigen, um ihn davon abzubringen, uns zu strafen.
Die Welt verfällt.
Inzwischen hat die UNO den Vereinigten Staaten von Amerika das Führungsmandat entzogen. Ein weiterer Akt der Hilflosigkeit. In vielen Staaten ist die öffentliche Ordnung zusammengebrochen. Wohin man schaut, durchstreifen marodierende Horden das Land. Allerorts kommt es zu bewaffneten Konflikten. Der Schwache überfällt den Schwächeren, weil Menschen nun mal ihrem Wesen nach nicht hilfsbereit, sondern dem animalischen Erbe verhaftet sind. Wer am Boden liegt, wird zur Beute, und zu plündern gibt es reichlich. Die Yrr haben nicht nur unsere Städte zerstört, sie haben uns auch innerlich verwüstet. Glaubenslos irren wir umher, verstoßene, grausame Kinder, die sich rapide zurückentwickeln auf der Suche nach einem neuen Anfang.
Aber es gibt auch Hoffnung, erste Anzeichen für ein Umdenken, welche Rolle wir auf unserem Planeten spielen. Viele versuchen in diesen Tagen, die biologische Vielfalt zu verstehen, um die wahren vereinheitlichenden Prinzipien zu begreifen und das, was uns letztlich verbindet, fernab jeder Hierarchie. Denn es ist das Verbindende, das unser Überleben sichert. Hat der Mensch sich je gefragt, wie es sich auf dasLeben seiner Nachkommen auswirkt, wenn er ihnen einen verarmten Planeten hinterlässt? Wer wollte die Bedeutung einer Tierart für den menschlichen Geist wirklich bewerten? Wir sehnen uns nach Wäldern, Korallenriffen und fischreichen Meeren, nach sauberer Luft und reinen Gewässern. Doch weiterhin schädigen wir die Erde. Mit der Vielfalt der Lebensformen zerstören wir eine Komplexität, die wir nicht verstehen, und schon gar nicht können wir sie neu erschaffen. Was wir auseinander reißen, bleibt zerrissen. Wer will entscheiden, auf welchen Teil der Natur im großen Geflecht wir verzichten können? Das Geheimnis der Vernetzung offenbart sich nur intakt. Einmal sind wir zu weit gegangen, und das Netz hat beschlossen, sich unserer zu entledigen. Einstweilen herrscht Waffenruhe. Zu welchen Schlüssen die Yrr auch gelangen mögen, wir täten gut daran, ihnen die Entscheidung so leicht wie möglich zu machen. Denn ein zweites Mal wird Karens Trick nicht ziehen.
Heute, am Jahrestag des Untergangs, schlage ich eine Zeitung auf und lese: Die Yrr haben die Welt für alle Zeiten verändert.
Haben sie das?
Maßgeblichen Einfluss haben sie auf unser Schicksal genommen, und doch wissen wir so gut wie nichts über sie. Wir glauben, ihre Biochemie zu kennen, aber ist das Wissen? Seit damals haben wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Nur ihre Signale hallen durchs Meer, unverständlich, weil nicht für uns gedacht. Wie erzeugt ein Gallertklumpen Geräusche? Wie nimmt er sie auf? Zwei von Millionen Fragen, die zu stellen müßig ist. Die Antworten liegen bei uns. Nur bei uns.
Vielleicht ist eine weitere Menschheitsrevolution fällig, um unser archaisches Erbe endlich mit der Entwicklung unserer Intelligenz unter einen Hut zu bringen. Wenn wir uns des Geschenks, das die Erde immer noch ist, als würdig erweisen wollen, sollten wir nicht die Yrr erforschen, sondern endlich uns selber. Erst die Kenntnis unserer Herkunft, die wir zwischen Wolkenkratzern und Computern zu leugnen gelernt haben, wird uns den Weg in eine bessere Zukunft weisen.
Nein, die Yrr haben die Welt nicht verändert. Sie haben uns die Welt gezeigt, wie sie ist.
Nichts ist mehr, wie es war. – Doch, eines: Ich rauche noch.
Was wären wir ohne Konstanten?
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