Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe
nicht, sondern wir kennen die Absichten der Feinde so genau, als ob wir an ihren Beratungen teilgenommen hätten. Der ›schwarze Mustang‹ wollte das Camp überfallen und sandte seinen Enkel, den Mestizen, unter falschem Namen her, um die Gelegenheit auszuspionieren. Heut abend kamen sie heimlich hier zusammen, um den Tag des Angriffes zu bestimmen. Dieser wäre wahrscheinlich kein naher gewesen, wenn wir uns nicht hier befunden hätten, und der Mestize nicht entlarvt worden wäre; die Roten hätten sich Zeit genommen. Jetzt aber wissen sie, daß wir sie durchschauen, und werden den Streich ausführen, ehe Ihr ihn durch Anlegung von Befestigungen und sonstigen Maßregeln unmöglich machen könnt. Ich bin sogar überzeugt, daß der Ueberfall gleich heut geschehen würde, wenn es da nicht ganz bedeutende Hindernisse gäbe.«
»Hindernisse?« fiel da der Engineer ein. »Ich denke, grad die gibt’s heut am allerwenigsten.«
»Wieso?«
»Welch eine Frage! Wenn die Roten in diesem Augenblicke kommen, sind wir verloren!«
»Ja, wenn! Sie können aber nicht kommen, denn sie sind nicht da! Ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß der ›schwarze Mustang‹ nur mit zwei oder drei Kriegern hier gewesen ist; sein Lager befindet sich weit, sehr weit von hier. Dazu kommt, daß er uns hier weiß. Der Mestize ist ihm nach und wird ihm sagen, was geschehen ist. Der Häuptling ist also überzeugt, daß wir in dieser Nacht auf der Hut sein werden. Er hat erfahren, daß ich mit Winnetou morgen nach dem Alder-Spring will. Der Besitz unsrer Personen ist ihm mehr, viel mehr wert als alle Beute, die er hier machen könnte. Er wird also schleunigst dorthin reiten, um uns gefangen zu nehmen. Er denkt sich das sehr leicht, weil er sich in dem Besitze unsrer gefürchteten Waffen weiß. Noch leichter wird es ihm dünken, dann, wenn wir in seine Hände gefallen sind, schleunigst hierher zurückzukehren und sich die langen Chinesenskalpe zu holen. Aufschieben darf er das nicht, denn sonst richtet Ihr Euch zur Verteidigung ein. Es gilt nun, ihm zuvorzukommen. Ich muß mit Winnetou eher als er am Alder-Spring sein. Wir müssen, ihn beschleichen, seine Krieger zählen, ihn belauschen, um zu erfahren, in welcher Weise er handeln will.«
»Aber, Sir,« fiel da der Engineer ein, »das ist ja ungeheuer gefährlich! Wenn er Euch ertappt, so seid Ihr verloren!«
»Er wird uns nicht ertappen; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ein Westmann kann nur von einer unbekannten Gefahr überrascht werden, nicht von einer, die er kennt. Ein höchst glücklicher Umstand ist der, daß euer Rocky-ground so nahe am Alder-Spring liegt. Wir fahren, sobald die Maschine hier angekommen ist, dorthin, und von da aus reiten wir nach dem Spring, den wir schon früh erreichen. Dort richten wir uns so ein, daß wir alles beobachten können, ohne selbst bemerkt zu werden. Was dann geschieht, hängt von dem ab, was wir erfahren.«
»Werdet Ihr dort wieder zu Euren Gewehren kommen?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Aber es scheint doch, daß es Eure erste Sorge sein muß, sie wieder zu erhalten!«
»Unsre allererste Sorge ist die, Euch zu helfen. Gelingt uns das, so nehmen wir den ›schwarzen Mustang‹ gefangen. Mit ihm gelangen die Gewehre am einfachsten und sichersten wieder in unsern Besitz. Ich bin überzeugt, daß es uns gelingt, ihn zu belauschen. Hören wir, daß Euch Gefahr droht, so reiten wir schnell nach Rocky-ground und bringen die sämtlichen dortigen Arbeiter per Bahn hierher, um die Komantschen in Empfang zu nehmen.«
Bei diesen Worten fuhr der Engineer von seinem Sitze auf und rief in frohem Tone:
»Alle Wetter, ist das ein köstlicher Gedanke! Die Weißen von dort zur Hilfe hierher! Da kann es uns ja gar nicht fehlen; da brauchen wir gar keine Sorge zu haben, denn wir schießen die roten Halunken vom ersten bis zum letzten Manne nieder!«
»Ihr stimmt mir also bei?«
»Natürlich! Ihr habt recht, vollständig recht, Mister Shatterhand. Es ist ganz so, wie ich Euch bereits gesagt habe: Wir werden Euch und Mister Winnetou unsre Rettung zu verdanken haben.«
»So macht Ihr Euch also keine Gedanken mehr darüber, daß ich Euch veranlaßt habe, eine Maschine zu requirieren?«
»Gar nicht, gar nicht, Sir. Ich bin Euch vielmehr außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, daß ihr in Rocky-ground nach Verdienst empfangen werdet.«
»Hm! Was beabsichtigt Ihr da?«
»Ich werde, sobald ihr abfahrt, telegraphieren, daß Old Shatterhand und Winnetou,
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