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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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antworte nicht. «Gegen die Angst, Rudolf», sagt sie. «Sie sind wie Lampen. Sie helfen. Siehst du, wie grau alles wird? Kein Blut ist jetzt mehr rot. Warum hilfst du mir nicht?»
      Ich gebe meinen Widerstand endlich auf. «Du süßes, fremdes und geliebtes Herz», sage ich. «Wenn ich dir nur helfen könnte!»
      Sie beugt sich vor und legt die Arme um meine Schultern.
      «Komm mit mir! Hilf mir! Sie rufen!»
      «Wer ruf?»
      «Hörst du sie nicht? Die Stimmen. Sie rufen immerfort!»
      «Niemand ruf, Isabelle. Nur dein Herz. Aber was ruf es?»
      Ich fühle ihren Atem über mein Gesicht wehen. «Liebe mich, dann ruf es nicht mehr», sagt sie.
      «Ich liebe dich.»
      Sie läßt sich neben mich sinken. Ihre Augen sind jetzt geschlossen. Es wird dunkler, und ich sehe den Mann aus Glas langsam wieder vorüberstelzen. Eine Schwester sammelt ein paar alte Leute ein, die gebeugt und unbeweglich wie dunkle Bündel Trauer auf Bänken gesessen haben. «Es ist Zeit», sagt sie in unsere Richtung.
      Ich nicke und bleibe sitzen. «Sie rufen», flüstert Isabelle. «Man kann sie nie finden. Wer hat so viele Tränen?»
      «Niemand», sage ich. «Niemand in der Welt, geliebtes Herz.»
      Sie antwortet nicht. Sie atmet wie ein müdes Kind neben mir. Dann hebe ich sie auf und trage sie durch die Allee zum Pavillon zurück, in dem sie wohnt.
      Als ich sie herunterlasse, stolpert sie und hält sich an mir fest. Sie murmelt etwas, das ich nicht verstehe, und läßt sich hineinführen. Der Eingang ist hell erleuchtet von einem schattenlosen, milchigen Licht. Ich setze sie in einen Korbstuhl in der Halle. Sie liegt mit geschlossenen Augen darin, als wäre sie von einem unsichtbaren Kreuz abgenommen. Zwei Schwestern in schwarzer Tracht kommen vorbei. Sie sind auf dem Wege zur Kapelle. Einen Augenblick sieht es aus, als wollten sie Isabelle abholen und be

    graben. Dann kommt die weiße Wärterin und nimmt sie mit.

    Die Oberin hat uns eine zweite Flasche Mosel gegeben. Bodendiek ist zu meinem Erstaunen trotzdem gleich nach dem Essen verschwunden. Wernicke bleibt sitzen. Das Wetter ist beständig, und die Kranken sind so ruhig, wie sie sein können.
      «Warum tötet man die nicht, die völlig hoffnungslos sind?» frage ich.
      «Würden Sie sie töten?» fragt Wernicke zurück.
      «Das weiß ich nicht. Es ist dieselbe Frage wie bei einem langsam hoffnungslos Sterbenden, von dem man weiß, daß er nur noch Schmerzen haben wird. Würden Sie ihm eine Spritze geben, damit er ein paar Tage weniger leide?»
      Wernicke schweigt.
      «Zum Glück ist Bodendiek nicht hier», sage ich. «Wir können uns also die moralische und religiöse Erörterung schenken. Ich hatte einen Kameraden, dem der Bauch aufgerissen war wie ein Fleischerladen. Er flehte uns an, ihn zu erschießen. Wir brachten ihn zum Lazarett. Er schrie dort noch drei Tage; dann starb er. Drei Tage sind eine lange Zeit, wenn man vor Schmerzen brüllt. Ich habe viele Menschen krepieren sehen. Nicht sterben – krepieren. Allen hätte geholfen werden können mit einer Spritze. Meiner Mutter auch.»
      Wernicke schweigt.
      «Gut», sage ich. «Ich weiß: Das Leben in einem Geschöpf zu beenden ist immer wie ein Mord. Seit ich im Kriege war, töte ich sogar ungern eine Fliege. Trotzdem hat mir das Stück Kalb heute abend gut geschmeckt, das man getötet hat, damit wir es essen. Das sind die alten Paradoxe und verhinderten Schlußfolgerungen. Das Leben ist ein Wunder, auch in einem Kalb und in einer Fliege. Besonders in einer Fliege – dieser Akrobatin mit ihren Tausenden von Augenfacetten. Es ist immer ein Wunder. Aber es wird immer beendet. Warum töten wir im Frieden einen kranken Hund und nicht einen wimmernden Menschen? Aber wir morden Millionen in nutzlosen Kriegen.»
      Wernicke gibt immer noch keine Antwort. Ein großer Käfer summt um die Lampe. Er stößt gegen die Birne, fällt, krabbelt, fliegt wieder hoch und umkreist das Licht aufs neue. Seine Erfahrung benutzt er nicht.
      «Bodendiek, der Beamte der Kirche, hat natürlich auf alles eine Antwort», sage ich. «Tiere haben keine Seele, Menschen haben eine. Aber wo bleibt das Stück Seele, wenn eine Windung des Gehirns beschädigt wird? Wo ist das Stück, wenn jemand ein Idiot wird? Ist es schon im Himmel? Oder wartet es irgendwo auf den verkümmerten Rest, der einen Menschenkörper noch sabbern, essen und ausscheiden läßt? Ich habe einige Ihrer Fälle im geschlossenen

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