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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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bei kaltem Wetter oder Regen zu versuchen, auf dem Friedhof einen Abschluß zu machen – immer nur in der warmen Bude und, wenn möglich, nach dem Essen. Trauer, Kälte und Hunger sind schlechte Geschäfspartner.
      Ich werfe den Rest des Zehnmarkscheins in den Ofen und richte mich auf. Im selben Moment höre ich, wie im Hause gegenüber ein Fenster aufgestoßen wird. Ich brauche nicht hinzusehen, um zu wissen, was los ist. Vorsichtig beuge ich mich über den Tisch, als hätte ich noch etwas an der Schreibmaschine zu tun. Dabei schiele ich verstohlen in einen kleinen Handspiegel, den ich so gestellt habe, daß ich das Fenster beobachten kann. Es ist, wie immer, Lisa, die Frau des Pferdeschlächters Watzek, die nackt dort steht und gähnt und sich reckt. Sie ist erst jetzt aufgestanden. Die Straße ist alt und schmal, Lisa kann uns sehen und wir sie, und sie weiß es; deshalb steht sie da. Plötzlich verzieht sie ihren großen Mund, lacht mit allen Zähnen und zeigt auf den Spiegel. Sie hat ihn mit ihren Raubvogelaugen entdeckt. Ich ärgere mich, erwischt zu sein, benehme mich aber, als merke ich nichts und gehe in einer Rauchwolke in den Hintergrund des Zimmers. Nach einer Weile komme ich zurück. Lisa grinst. Ich blicke hinaus, aber ich sehe sie nicht an, sondern tue, als winke ich jemand auf der Straße zu. Zum Überfluß werfe ich noch eine Kußhand ins Leere. Lisa fällt darauf herein. Sie ist neugierig und beugt sich vor, um nachzuschauen, wer da sei. Niemand ist da. Jetzt grinse ich. Sie deutet ärgerlich mit dem Finger auf die Stirn und verschwindet.
      Ich weiß eigentlich nicht, warum ich diese Komödie aufführe. Lisa ist das, was man ein Prachtweib nennt, und ich kenne einen Haufen Leute, die gern ein paar Millionen zahlen würden, um jeden Morgen einen solchen Anblick zu genießen. Ich genieße ihn auch, aber trotzdem reizt er mich, weil diese faule Kröte, die erst mittags aus dem Bett klettert, ihrer Wirkung so unverschämt sicher ist. Sie kommt gar nicht auf den Gedanken, daß nicht jeder sofort mit ihr schlafen möchte. Dabei ist ihr das im Grunde ziemlich gleichgültig. Sie steht am Fenster mit ihrer schwarzen Ponyfrisur und ihrer frechen Nase und schwenkt ein Paar Brüste aus erstklassigem Carrara-Marmor herum wie eine Tante vor einem Säugling eine Spielzeugklapper. Wenn sie ein Paar Lufballons hätte, würde sie fröhlich die hinaushalten. Da sie nackt ist, sind es eben ihre Brüste, das ist ihr völlig egal. Sie freut sich ganz einfach darüber, daß sie lebt und daß alle Männer verrückt nach ihr sein müssen, und dann vergißt sie es und fällt mit ihrem gefräßigen Mund über ihr Frühstück her. Der Pferdeschlächter Watzek tötet inzwischen müde, alte Droschkengäule.
      Lisa erscheint aufs neue. Sie trägt jetzt einen ansteckbaren Schnurrbart und ist außer sich über diesen geistvollen Einfall. Sie grüßt militärisch, und ich nehme schon an, daß sie so unverschämt ist, damit den alten Feldwebel a. D. Knopf von nebenan zu meinen; dann aber erinnere ich mich, daß Knopfs Schlafzimmer nur ein Fenster nach dem Hof hat. Und Lisa ist raffiniert genug, zu wissen, daß man sie von den paar Nebenhäusern nicht beobachten kann.
      Plötzlich, als brächen irgendwo Schalldämme, beginnen die Glocken der Marienkirche zu läuten. Die Kirche steht am Ende der Gasse, und die Schläge dröhnen, als fielen sie vom Himmel direkt ins Zimmer. Gleichzeitig sehe ich vor dem zweiten Bürofenster, das nach dem Hof geht, wie eine geisterhafe Melone den kahlen Schädel meines Arbeitgebers vorübergleiten. Lisa macht eine rüpelhafe Gebärde und schließt ihr Fenster. Die tägliche Versuchung des heiligen Antonius ist wieder einmal überstanden.

    Georg Kroll ist knapp vierzig Jahre alt; aber sein Kopf glänzt bereits wie die Kegelbahn im Gartenrestaurant Boll. Er glänzt, seit ich ihn kenne, und das ist jetzt über fünf Jahre her. Er glänzt so, daß im Schützengraben, wo wir im selben Regiment waren, ein Extrabefehl bestand, daß Georg auch bei ruhigster Front seinen Stahlhelm aufehalten müsse – so sehr hätte seine Glatze selbst den sanfmütigsten Gegner verlockt, durch einen Schuß festzustellen, ob sie ein riesiger Billardball sei oder nicht.
      Ich reiße die Knochen zusammen und melde: «Hauptquartier der Firma Kroll und Söhne! Stab bei Feindbeobachtung. Verdächtige Truppenbewegungen im Bezirk des Pferdeschlächters Watzek.»
      «Aha!» sagt Georg. «Lisa bei der Morgengymnastik.

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