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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Kinder, Rudolf?» fragt sie.
      «Das weiß ich nicht.»
      Ich sehe sie nicht an. Ich will nicht wieder von ihr eingefangen werden; es ist schon genug, wie sie dasitzt mit den langen Beinen und der Tennishose, als hätte sie geahnt, daß ich von jetzt an nach Georgs Rezept leben will.
      «Wozu werden sie geboren, wenn sie gleich wieder sterben?»
      «Das mußt du den Vikar Bodendiek fragen. Er behauptet, Gott führe Buch über jedes Haar, das von irgendeinem Kopfe fällt, und alles habe einen Sinn und eine Moral.»
      Isabelle lacht. «Gott führt Buch? Über wen? Über sich selbst? Wozu? Er weiß doch alles.»
      «Ja», sage ich und bin plötzlich sehr ärgerlich, ohne zu wissen, warum. «Er ist allwissend, allgütig, gerecht und voll Liebe – und trotzdem sterben Kinder und Mütter, die sie brauchen, und niemand weiß, warum so viel Elend in der Welt ist.»
      Isabelle wendet sich mir mit einem Ruck zu. Sie lacht nicht mehr. «Warum sind nicht alle Menschen einfach glücklich, Rudolf?» flüstert sie.
      «Das weiß ich nicht. Vielleicht, weil Gott sich sonst langweilen würde.»
      «Nein», sagt sie rasch. «Nicht deshalb.»
      «Warum denn?»
      «Weil er Angst hat.»
      «Angst? Wovor?»
      «Wenn alle glücklich wären, brauchte man keinen Gott mehr.»
      Ich sehe sie jetzt an. Ihre Augen sind sehr durchsichtig. Auch
    ihr Gesicht ist braun und schmaler als früher. «Er ist nur für das Unglück da», sagt sie. «Dann braucht man ihn und betet. Deshalb macht er es.»
      «Es gibt auch Menschen, die zu Gott beten, weil sie glücklich sind.»
      «So?» Isabelle lächelt ungläubig. «Dann beten sie, weil sie Angst haben, daß sie es nicht bleiben werden. Alles ist Angst, Rudolf. Weißt du das nicht?»
      Der fröhliche Greis wird von der kräfigen Schwester vorübergeführt. Aus einem Fenster vom Hauptgebäude kommt das hohe Summen eines Staubsaugers. Ich sehe mich um. Das Fenster ist offen, aber vergittert – ein schwarzes Loch, aus dem der Staubsauger schreit wie eine verdammte Seele.
      «Alles ist Angst», wiederholt Isabelle. «Hast du nie Angst?»
      «Ich weiß es nicht», erwidere ich, immer noch auf der Hut. «Ich glaube schon. Ich hatte sehr of Angst im Kriege.»
      «Das meine ich nicht. Das ist vernünfige Angst. Ich meine die ohne Namen.»
      «Welche? Angst vor dem Leben?»
      Sie schüttelt den Kopf. «Nein. Früher.»
      «Vor dem Tode?»
      Sie schüttelt wieder den Kopf. Ich frage nicht weiter. Ich will da nicht hinein. Schweigend sitzen wir eine Zeitlang in der Dämmerung. Wieder einmal habe ich das Gefühl, daß Isabelle nicht krank sei; aber ich lasse es nicht aufommen. Wenn es aufommt, ist die Verwirrung wieder da, und ich will sie nicht. Isabelle rührt sich schließlich.
      «Warum sagst du nichts?» fragt sie.
      «Was sind schon Worte?»
      «Viel», flüstert sie. «Alles. Hast du Angst davor?»
      Ich denke nach. «Wahrscheinlich haben wir alle etwas Angst
    vor großen Worten. Es ist so entsetzlich viel damit gelogen worden. Vielleicht haben wir auch Angst vor unsern Gefühlen. Wir trauen ihnen nicht mehr.»
      Isabelle zieht die Beine auf die Bank. «Man braucht sie aber, Liebster», murmelt sie. «Wie kann man sonst leben?»
      Der Staubsauger hat aufgehört zu summen. Es ist plötzlich sehr still. Kühl kommt von den Beeten der Hauch der feuchten Erde. Ein Vogel ruf in den Kastanien, immer denselben Ruf. Der Abend ist plötzlich eine Waage, die auf beiden Seiten gleich viel Welt trägt. Ich fühle sie, als balanciere sie ohne Schwere auf meiner Brust. Nichts kann mir geschehen, denke ich, solange ich so ruhig weiter atme.
      «Hast du Angst vor mir?» flüstert Isabelle.
      Nein, denke ich und schüttle den Kopf; du bist der einzige Mensch, vor dem ich keine Angst habe. Auch nicht mit Worten. Vor dir sind sie nie zu groß und nie lächerlich. Du verstehst sie immer, denn du lebst noch in der Welt, wo Worte und Gefühle eins und Lüge und Vision dasselbe sind.
      «Warum sagst du nichts?» fragt sie.
      Ich hebe die Schultern. «Manchmal kann man nichts sagen, Isabelle. Und es ist of schwer, loszulassen.»
      «Was loszulassen?»
      «Sich selbst. Da sind viele Widerstände.»
      «Ein Messer kann sich nicht selbst schneiden, Rudolf. Wozu hast du Angst?»
      «Ich weiß es nicht, Isabelle.»
      «Warte nicht zu lange, Liebster. Sonst ist es zu spät. Man braucht Worte», murmelt sie.
      Ich

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