Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
auch nicht dahin und läuf dir nicht weg.
Es ist Nacht. Ich lehne in meiner Bude am Fenster. Der Mond scheint, der schwere Geruch des Flieders weht aus den Gärten, und ich bin vor einer Stunde aus dem Altstädter Hof nach Hause gekommen. Ein verliebtes Paar huscht die Straßenseite entlang, die im Mondschatten liegt, und verschwindet in unserm Garten. Ich tue nichts dagegen; wer selbst nicht dürstet, ist friedfertig, und die Nächte sind jetzt unwiderstehlich. Damit nichts passiert, habe ich allerdings vor einer Stunde an die beiden kostbaren Kreuzdenkmäler ein Schild gehängt mit der Aufschrif: «Achtung! Kann umfallen! Zerschmettert die Zehen!» Aus irgendwelchen Gründen bevorzugen nämlich die Liebenden die Kreuze, wenn der Boden zu feucht ist; wahrscheinlich, weil sie sich besser daran festhalten können, obschon man glauben könnte, daß mittlere Hügelsteine ebenso vorteilhaf wären. Ich hatte den Gedanken, ein zweites Schild mit einer Empfehlung dafür aufzuhängen, habe es aber nicht getan. Frau Kroll ist manchmal früh auf, und sie würde mich, bei aller Toleranz, ohrfeigen wegen Frivolität, bevor ich ihr erklären könnte, daß ich vor dem Kriege ein prüder Mensch war – eine Eigenschaf, die mir bei der Verteidigung unseres geliebten Vaterlandes abhanden gekommen ist.
Plötzlich sehe ich eine quadratische Gestalt schwarz durch den Mondschein heranstampfen. Ich erstarre. Es ist der Roßschlächter Watzek. Er verschwindet in seiner Wohnung, zwei Stunden zu früh. Vielleicht sind ihm die Gäule ausgegangen; Pferdefleisch ist heute ein sehr beliebter Artikel. Ich beobachte die Fenster. Sie werden hell, und Watzeks Schatten spukt umher. Ich überlege, ob ich Georg Kroll Bescheid sagen soll; aber es ist ein undankbares Geschäf, Liebende zu stören, und außerdem kann es sein, daß Watzek, ohne nachzudenken, schlafen geht. Das scheint aber nicht so zu werden. Der Schlächter öffnet das Fenster und starrt rechts und links die Straße entlang. Ich höre ihn schnaufen. Er schließt die Läden, und nach einer Weile erscheint er vor der Tür, einen Stuhl in der Hand, sein Fleischermesser im Stiefelschaf. Er setzt sich auf den Stuhl, und es sieht aus, als ob er auf Lisas Rückkehr warten will. Ich schaue auf die Uhr; es ist halb zwölf. Die Nacht ist warm, und Watzek kann es Stunden draußen aushalten. Lisa dagegen ist schon ziemlich lange bei Georg; das heisere Fauchen der Liebe ist bereits verstummt, und wenn sie dem Schlächter in die Arme läuf, wird sie zwar eine glaubhafe Erklärung finden, und er wird wahrscheinlich darauf hereinfallen – aber besser ist es doch, wenn das nicht passiert.
Ich schleiche hinunter und klopfe den Anfang des Hohenfriedberger Marsches an Georgs Tür. Sein kahler Kopf erscheint. Ich berichte, was los ist. «Verdammt», sagte er. «Sieh zu, daß du ihn dort wegbringst.»
«Um diese Zeit?»
«Versuch es! Laß deinen Charme spielen.»
Ich schlendere nach draußen, gähne, bleibe stehen und wandere dann zu Watzek hinüber. «Schöner Abend», sage ich.
«Schöner Abend, Scheiße», erwidert Watzek.
«Das auch», gebe ich zu.
«Es wird nicht mehr lange dauern», sagt Watzek plötzlich scharf.
«Was?»
«Was? Sie wissen das doch genau! Die Schweinerei! Was sonst?»
«Schweinerei?» frage ich alarmiert. «Wieso?»
«Na, was sonst? Finden Sie das etwa nicht?»
Ich blicke auf das Messer im Stiefel und sehe Georg bereits mit durchschnittener Kehle zwischen den Denkmälern liegen. Lisa natürlich nicht; das ist die alte Idiotie des Mannes. «Wie man es nimmt», sage ich diplomatisch. Ich verstehe nicht ganz, weshalb Watzek nicht längst in Georgs Fenster geklettert ist. Es liegt im Parterre und ist offen.
«Das alles wird bald anders werden», erklärt Watzek grimmig.
«Blut wird fließen. Die Schuldigen werden büßen.»
Ich sehe ihn an. Er hat lange Arme an seinem gedrungenen Körper und sieht überaus kräfig aus. Ich könnte ihm mit dem Knie gegen das Kinn stoßen und ihm dann, wenn er hochtaumelt, einen zweiten Stoß zwischen die Beine versetzen – oder aber, wenn er losrennt, kann ich ihm ein Bein stellen und seinen Schädel ein paarmal gründlich aufs Pflaster schlagen. Das würde im Augenblick genügen – aber was später?
«Haben Sie ihn gehört?» fragt Watzek.
«Wen?»
«Sie wissen doch! Ihn! Wen sonst? Es gibt doch nur einen!»
Ich lausche. Ich habe nichts gehört. Die Straße
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