Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
herbeimarschiert und trug gesitteteine brennende Kerze im Nachtleuchter vor sich her, als wäre sie die Erste in einer langen Prozession, deren andere Teilnehmer alle unsichtbar waren.
    Inzwischen war der Herr zum Kaminsims gegangen und stand unmittelbar vor dem Feuer und lehnte seine Stirn an das Kaminsims (das sehr niedrig ist, was ihn so ähnlich aussehen ließ, als wollte er bockspringen) und stieß einen ungeheuren Seufzer aus. Sein Haar war lang und recht hell, als er die Stirn an das Kaminsims lehnte, fiel es ihm wie staubiger Flaum über die Augen; und als er sich nun umwandte und den Kopf wieder hob, fiel es ihm wie staubiger Flaum über die Ohren. Damit sah er ganz wild aus, beinahe wie eine sturmgepeitschte Heidelandschaft.
    »Oh! Das Zimmermädchen! Ah!« Es schien ihm etwas durch den Kopf zu gehen. »Ja, sicher. Ja. Ich gehe jetzt nicht mit nach oben, aber wenn Sie meine Tasche nehmen könnten. Mir reicht es im Augenblick, wenn ich meine Zimmernummer kenne. Könnten Sie mir die 24 B geben?«
    (O Gewissen, was für eine Viper du bist!)
    Mrs. Pratchett wies ihm dieses Zimmer zu und trug seine Tasche hinauf. Er ging zum Kamin zurück und fing an, auf den Fingernägeln herumzukauen.
    »Herr Ober!«, sagte er und nagte zwischen den Worten weiter, »geben Sie mir« – Biss – »Feder und Papier, und in fünf Minuten« – Biss – »hätte ich gern, bitte« – Biss – »einen Boten.«
    Ungeachtet seiner kühler werdenden Suppe, schrieb und verschickte er sechs Briefe, ehe er sein Abendessen anrührte. Drei Nachrichten gingen in die City, drei ins West-End. Die Briefe in die City waren für Cornhill, Ludgate-Hill und Farringdon Street bestimmt. Die fürs West-End für Great Marlborough Street, New Burlington Street und Piccadilly. An allen sechs Adressen ließ sich der Empfängergleichermaßen verleugnen, und es gab nicht die Spur von einer Antwort. Unser Botenjunge flüsterte mir, als er mit dieser Nachricht zurückkam, zu: »Alles Buchhändler.«
    Aber bis dahin hatte der Fremde bereits sein Abendessen verspeist und seine Flasche Wein geleert. Nun – man beachte die Übereinstimmung mit dem oben vollständig aufgeführten Dokument! – stieß er mit seinem unruhigen Ellbogen einen Teller mit Keksen vom Tisch (ohne ihn jedoch zu zerbrechen) und verlangte nach heißem Wasser mit Brandy.
    Inzwischen völlig überzeugt, dass ER es sein musste, ließ ich meinem Schweiß ungehemmten Lauf. Als er von dem oben genannten anregenden Getränk ein wenig erhitzt war, verlangte er wiederum Feder und Papier und verbrachte die folgenden zwei Stunden mit dem Verfassen eines Manuskriptes, das er sofort nach der Vollendung dem Feuer überantwortete. Dann ging er, von Mrs. Pratchett geleitet, zu Bett. Mrs. Pratchett (die sich meiner Vorahnungen bewusst war) berichtete mir, als sie wieder herunterkam, sie hätte bemerkt, wie sein Auge alle Winkel der Korridore und Treppen durchsuchte, als forschte er nach seinem Gepäck, und sie hätte, während sie sich umwandte und die Tür zur Nummer 24B schließen wollte, gesehen, wie er, nachdem er bereits den Überrock abgelegt hatte, tatsächlich unter dem Bett verschwand, ganz wie ein Schornsteinfeger im Kamin, ehe er seine Werkzeuge in Bewegung setzt.
    Der nächste Tag – ich erspare Ihnen die Schilderungen der Schrecken dieser Nacht – war in unserem Teil von London sehr neblig, sodass es notwendig wurde, schon früh in der Kaffeestube die Gaslichter anzuzünden. Wir waren nach wie vor allein, und keine noch so fieberhaften Worte können der Sprunghaftigkeit seiner Erscheinung gerecht werden, als er sich wieder an Tisch Nummer vier niederließ,und zu allem Überfluss stimmte etwas mit dem Gaszähler nicht.
    Nachdem er wiederum sein Abendessen bestellt hatte, ging er fort und war beinahe zwei Stunden außer Haus. Bei seiner Rückkehr erkundigte er sich, ob irgendwelche Antworten gekommen seien, und bestellte, nachdem man dies uneingeschränkt verneint hatte, unverzüglich Mulligatawny 27 , Cayennepfeffer und Orangenlikör.
    Ich hatte das sichere Gefühl, dass nun der tödliche Zweikampf nahte, und außerdem das Gefühl, dass ich in allem mit ihm auf gleicher Höhe sein sollte, und beschloss daher, alles zu mir zu nehmen, was er zu sich nahm. Hinter meiner Trennwand, aber immer mit einem Auge auf den Vorhang, sprach ich also Mulligatawny, Cayennepfeffer und Orangenlikör zu. Und als er zu einem späteren Zeitpunkt wieder »Orangenlikör« sagte, bestellte ich dies auch mit leiserer

Weitere Kostenlose Bücher