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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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machen, fügte ich hinzu: »Niemals! Nicht von der Wiege bis zur Bahre!«
    »Nun«, sagte er und dachte nicht mehr darüber nach, lachte aber immer noch glucksend über seine Druckfahnen. »Aber ich bin gedruckt! Der erste hochfliegende Ehrgeiz, der in der ärmlichen Kate meines Vaters in mir aufstieg, ist endlich verwirklicht! Der goldene Bogen«, fuhr er fort, »wurde von Zauberhand berührt und hat einen vollkommenen Klang erzeugt! Wann ist all das geschehen, mein lieber Christopher?«
    »Wann ist was geschehen, Sir?«
    »Das hier«, sagte er und hielt es auf Armeslänge, um es zu bewundern. »Dieser Drrrruck!«
    Nachdem ich ihm einen in alle Einzelheiten gehenden Bericht erstattet hatte, packte er mich wieder bei der Hand und meinte: »Lieber Christopher, es sollte Sie mit Genugtuung erfüllen, zu wissen, dass Sie ein Instrument in den Händen des Schicksals sind. Denn das
sind
Sie.«
    Ein vorübergehender Anflug von Melancholie flüsterte mir ein, den Kopf zu schütteln und zu antworten: »Vielleicht sind wir das alle.«
    »So meine ich das nicht«, erwiderte er. »Ich fasse meine Bemerkung nicht so allgemein, ich beschränke mich auf den speziellen Fall. Hören Sie mir genau zu, mein lieber Christopher! Bar aller Hoffnung, je durch eigenes Bemühen irgendeines der Manuskripte in meinem Gepäck loszuwerden – die ich alle, wohin ich sie auch schickte, unweigerlich zurückbekam –, habe ich vor nunmehr sieben Jahrendieses Gepäck hier hinterlassen, in dem verzweifelten Versuch, dass entweder diese mir allzu treuen Manuskripte nie wieder zu mir zurückfinden würden oder dass jemand, dem nicht so ein Fluch anhängt wie mir, sie vielleicht der Welt übergibt. Können Sie mir folgen, mein lieber Christopher?«
    »So ziemlich, Sir.« Ich konnte ihm so weit folgen, dass ich mir die Meinung bildete, dass er nicht ganz richtig im Kopf war und dass der Orangenlikör, der Grog und der Old Brown in Kombination sich bemerkbar machten. (Der Old Brown steigt einem besonders in den Kopf und ist eher etwas für trinkfestere Herren.)
    »Jahre sind vergangen, und diese Schriften schlummerten im Staub. Endlich wählte sich das Schicksal aus der gesamten Menschheit seinen Boten aus und schickte Sie hierher, Christopher, und siehe da! Der Schrein wurde zersprengt und der Riese freigelassen!«
    Nach diesen Worten wühlte er sein Haar zu einem wilden Heuhaufen auf und stand auf Zehenspitzen da.
    »Aber« – erinnerte er sich in höchster Erregung – »wir müssen jetzt die ganze Nacht zusammensitzen, mein lieber Christopher. Ich muss die Fahnen für den Druck korrigieren. Füllen Sie alle Tintenfässer und bringen Sie mir mehrere neue Federn.«
    Die ganze Nacht hindurch bekleckerte er sich und bekleckerte die Druckfahnen derartig, dass, als die liebe Sonne ihn mahnte, er müsse (in einer vierrädrigen Kutsche) abfahren, kaum jemand hätte sagen können, was die Fahnen waren und was er war und was Kleckse waren. Seine letzte Anweisung war, dass ich sofort zum Kontor der vorliegenden Zeitschrift rennen und seine Korrekturen dorthin bringen sollte. Das habe ich gemacht. Höchstwahrscheinlich werden diese Korrekturen nicht im Druckerscheinen, denn ich habe bemerkt, dass, während ich noch diese abschließende Aussage zu Papier brachte, eine Nachricht vom Beauford Printing House eintraf, sie könnten alle miteinander in der Setzerei nicht schlau daraus werden. Worauf ein gewisser Herr im Kontor, den ich hier nicht näher bezeichnen will – es möge nur die Bemerkung ausreichen, dass er, auf den sicheren Fundamenten einer meerumschlungenen Insel stehend, in welchem Licht wir ihn auch immer betrachten mögen … 29 –, nur lachte und die Korrekturen ins Feuer warf.

    Erstmals erschienen 1862 in der Weihnachtsausgabe von »All the Year Round«.

Atemberaubende Fabulierkunst
    Charles Dickens als Geschichten-Erzähler
    Die in diesem Band zusammengestellten Erzählungen sprühen nur so vor Leben. Atemberaubende Fabulierkunst greift auf Spannung, Gefühl, Komik und ein hervorragendes Auge für die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Zeit zurück, eine perfekte Kulisse für die präzise gezeichneten Personen, die durch diesen Band spazieren.
    Dickens’ Laufbahn als Schriftsteller begann 1829, als er Arbeit als freiberuflicher Gerichtsreporter bei den Doctors’ Court Commons (Zivilgericht) fand. Von dort wechselte er in eine Anstellung bei einer Tageszeitung, dem
Morning Chronicle,
und war bereits 1832 Berichterstatter für die Debatten im

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