Der schwarze Tod
umfasste das Tischbein fester und begann, das Loch zu vergrößern.
Der Müller staunte nicht schlecht, als das kleine Ding vom Stubbehof plötzlich an seiner Tür auftauchte, blutig zerkratzt, mit einem bösen, halb verheilten Schnitt quer über der Wange und Rotz zu Wasser heulend.
„Ihr müsst uns helfen“, schluchzte sie. „Der Vater ist von Teufel besessen, und die Katharina ist eingesperrt und kommt nicht raus, und wenn er kommt und sieht, dass ich nicht da bin, bringt er sie bestimmt um!“
„Was redest du da für einen Unsinn? Was soll ich helfen? Mit deinem Vater habe ich nichts zu schaffen!“
„Die Katharina hat gesagt, Ihr werdet uns helfen...“
Der Müller betrachtete das Häuflein Elend, das zitternd vor ihm stand.
„Vom Teufel besessen, sagst du?“
„Ja, den Vater hat der Teufel geholt!“
Wie sie sich drüben im Mahlraum ausgezogen hatte, zwischen den Säcken, splitternackt. Wie sie zu ihm gekommen war, um sich an ihm zu reiben. Mit ihren schweren, großen Brüsten. Wie sie ihn berührt hatte und ihm zu Willen gewesen war auf eine Art, die ihm das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel gesaugt hatte. Dreimal war sie hier gewesen und hatte sich mit einem Beutel Mehl für ihre Dienste bezahlen lassen. Das schönste Weib in der Umgebung. Dann war der Knecht mit der Hand ins Mahlwerk geraten. Die Fäulnis hatte das Korn gefressen, die Mäuse den Rest. Die Frau hatte angefangen zu husten und hörte nicht mehr damit auf, und der Hexenschuss war in den Rücken des Müllers gefahren und verleidete ihm jede Bewegung.
Das lüsterne Weib hatte ihn verhext, so wie sie den Stubbe Peter verhext hatte. Wenn er nicht enden wollte wie der verrückte Stubbe, so musste er schleunigst etwas tun, um seine Seele zu reinigen.
Er setzte ein falsches Lächeln auf.
„Komm erst mal rein, Kleine“, sagte er. „Du bist ja völlig erschöpft. Keine Sorge, ich kümmere mich um alles.“
Noch in der gleichen Nacht brachen die Büttel die Tür zu Stubbes Hütte auf und nahmen Katharina mit.
9. Kapitel
Herbst 2012, Frankfurt am Main
« Nicht Samuel. Das würde der nie tun »
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, war unruhig und verwirrt. Die SMS ängstigten mich, aber dann wieder nicht so sehr, wie der Sender es vielleicht beabsichtigt hatte. Er war wie ein Schatten aus vergangenen Tagen. Mein viel größeres Problem wohnte auf der anderen Seite des Hausflurs.
Nach einigen Stunden voller quälender Träume und Grübeleien stieg ich aus dem Bett und kochte Kaffee. Während die Maschine aufheizte, genoss ich die Tatsache, dass der Mensch mittlerweile tatsächlich in der Lage war, es sich egal zu welcher Uhrzeit taghell zu machen. Wie hatten wir nur damals die langen Winternächte herumgebracht, dreizehn, vierzehn Stunden Dunkelheit am Stück, kaum durchbrochen von kleinen, flackernden Kerzen und Talglampen?
Dazu Kaffee, der auf Knopfdruck kam. Milch, die sich im Kühlschrank tagelang hielt. Wärme, die aus Heizkörpern strömte, ohne dass jemand Holz hacken musste. Fernsehen, das einem sogar das Denken abnahm.
Ich kuschelte mich mit meinem Kaffee aufs Sofa, zog meine Flauschdecke über mich und schaltete den Fernseher ein.
Es war morgens um halb vier, da konnte man nicht viel erwarten. Nachrichten, Softpornos, Talkshows. Alte Filme. Ich blieb bei einem Heimatfilm aus den Fünfzigerjahren hängen, doch auch Berge und niedliche Zicklein konnten mich nicht von meinem Problem auf der anderen Seite des Hausflures ablenken.
Ich spürte noch Sams Hände auf meinem Rücken, seine Lippen auf meinen. Ich wusste noch, wie er schmeckte. So schnell würde ich das auch nicht vergessen. Sollte es das tatsächlich gewesen sein? Ein Ausrutscher, über den man nie wieder sprach?
Es hatte da diesen Augenblick gegeben, draußen auf dem dunklen Unigelände, da war er unsicher gewesen. Vermutlich hätte ich ihn in diesem Augenblick dazu bringen können, mit Alexa Schluss zu machen. Dann wäre er jetzt hier, in meiner Wohnung, und nicht drüben.
Ich versuchte, mir das auszumalen. Wir zwei hier, und Alexa ein paar Wände und Türen von uns entfernt, am Boden zerstört. Ich war lebenserfahren genug, um zu wissen, dass so etwas nicht funktionierte. Wenn ihn das schlechte Gewissen nicht auffraß, dann würde es mich zerreißen. Ich war eigentlich nicht sonderlich zaghaft, aber Alexa war ein wirklich netter, liebenswerter Mensch – auf eine rührende Art unschuldig, beinahe naiv. Sie glaubte nur an das Gute im Menschen,
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