Mein spanisches Dorf
Die Kugel vom Herrn Chloupek
Ja, ja, du bist ein Fratz, hat er gesagt, wenn er mir das Maß genommen hat rundherum und in der Länge. Er hat so warm gerochen und so merkwürdig aus dem Mund, und in der ganzen Schneiderei hat es wirklich nach warmen Hintern gerochen, wie die Mutter immer geklagt hat. Da mag man gar nicht hineingehen. Aber jedes Jahr hat er etwas für mich genäht, und ich habe stillhalten müssen, wenn er mit dem Nadelkissen am Handgelenk überall hingegriffen hat, und mit seiner warmen Hand manchmal auf meine Wange, da tätschelt er mich und sagt: Ja, ja, die Schlimmste von der ganzen Gasse! Nein, habe ich gesagt. Und er wieder: Der größte Fratz, den es überhaupt gibt, bist du. Und ich muß wieder stillhalten und warten, bis er alles in sein Hefterl geschrieben hat. Und zum Schluß hat er mich immer gepackt und gehoben und gefragt, wie groß ich werden will und ob es vielleicht doch noch sein wird, daß mir die vorderen Zähne wachsen, sonst fällt am Ende noch einer in das große Loch, das ich da habe. Und so blöd habe ich immer ausgeschaut, wenn er mich ausgezogen hat und den Schnürlsamtstoff rundherum angenadelt hat beim Probieren. Die Kostüme vom Herrn Chloupek waren steif und haben nach ihm gerochen, aber sie waren für den Sonntag, und der Vater hat gesagt, so muß ein österreichisches Kind aussehen. Und eines Tages springt die Schneiderhilfe in unsere Ordination und sagt: Schnell, schnell, der Herr Chloupek kriegt keine Luft, der Herr Doktor muß sofort kommen, der Herr Chloupek ist ganz blau im Gesicht. Da habe ich mir gar nichts gedacht. Nur neugierig bin ich geworden. Und wie die Frau Chloupek in Trauer im Sommer durchs Schwimmbad gegangen ist, habe ich die Frieda gefragt, was mit dem Herrn Chloupek eigentlich war. Er hat sich erschossen, hat sie gesagt. Warum? Weil seine Frau ihn betrogen hat. Da habe ich mir gedacht, wenn ich sie gewesen wäre, ich hätte ihn auch angelogen. Und es hat mich noch jahrelang interessiert, wegen was sie gelogen hat.
Die Mutter ist fort
Von der Schwester Dorothea haben wir über das Fegefeuer und von der Hölle gelernt. Die Hölle habe ich mir lieber gar nicht vorgestellt, aber das Fegefeuer, das war wahrscheinlich unvermeidlich, und das war so mit vielen Besen und einem leichten Feuer.
Aber einmal in der Nacht ist mir die furchtbare Erleuchtung gekommen. Die Hölle ist, wenn meine Mutter stirbt. Und ich habe aufgepaßt, daß sie nicht stirbt, weil sie immer so blaß war. Ich habe ihr Kekse in den Mund geschoben und immer wieder ein Stückerl Schwarzbrot. Und die Mutter hat gesagt, ich soll aufhören, sie hat keinen Appetit.
Und wie Weihnachten war, habe ich geweint und zu meiner Mutter gesagt, wer weiß, was nächstes Jahr zu Weihnachten sein wird. Die Mutter hat gesagt, nichts wird sein, es wird wieder so sein wie jedes Jahr zu Weihnachten. Aber ich habe ihr vom Christbaum ein paar Windringerl in den Mund geschoben.
Dann hat meine Mutter an einem Nachmittag gesagt, wir sollen brav sein und sie nicht stören, sie will jetzt ein heißes Bad nehmen. Und wie sie nach einer langen Zeit noch immer nicht aus dem Badezimmer gekommen ist, habe ich geklopft, ob sie schon fertig ist. Es hat sich nichts gerührt. Ich habe lauter geklopft und gerufen, aber sie hat keine Antwort gegeben. Da habe ich die Türschnalle heruntergedrückt und die Tür war zugesperrt.
Mutter, Mutter, habe ich geschrien, Mutter! Aber es hat sich gar nichts gerührt.
Da bin ich schnell zum Schlosser gelaufen und habe gesagt, meine Mutter liegt in der Badewanne und sie sperrt nicht auf, vielleicht ist ihr etwas passiert.
Aber der Schlosser war gerade beim Jausnen, und er hat sich so viel Zeit gelassen, daß ich geschrien habe, wenn er nicht gleich aufsteht und meiner Mutter hilft, dann zeige ich ihn an. Da ist er aufgestanden und hat sich den Mund abgewischt, und mit einem großen Schlüsselbund ist er dann mit mir zu unserem Haus gegangen und die Stiegen hinauf ins Schlafzimmer und bis vor die Badezimmertür.
Er hat so langsam herumgetan mit seinen Schlüsseln, daß ich immer nur geschrien habe, er soll sich tummeln, sonst ist es zu spät. Und wie die Tür offen war, haben wir gesehen, daß die Wanne leer ist und überhaupt niemand drin. Alles war so wie es immer war, wenn gerade niemand badet.
Da kommt die Mutter die Stiegen herauf mit einem hübschen Kleid und sie hat sehr frisch ausgesehen, und sie hat gefragt, was ist denn los, und was machen denn Sie hier,
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