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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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gute Partie, und deutete auf den Wagen.

    Éva legte ihre Hände auf das Lenkrad. Ich konnte ihre lackierten Fingernägel sehen. Rosa waren sie. Isti und ich saßen auf der Rückbank, nie zuvor hatten wir in einem Auto gesessen, wir kannten nicht einmal jemanden, der ein Auto besaß. Éva schaltete den Motor ein, und Isti packte Erzsis Schokolade aus. Verschmiert mir bloß nicht die Sitze, mahnte Éva. Mein Vater steckte sich eine Zigarette an, kurbelte das Fenster hinunter und ließ seinen Arm hinaushängen. Erzsi faßte ihn mit beiden Händen und sagte, paß auf diese Kinder auf. Manci fing an zu weinen, und als der Wagen sich in Bewegung setzte, winkten wir ihr durch das Rückfenster, bis sie kleiner wurde und schließlich verschwand.

    Wir kehrten nicht mehr zurück nach Pest. Weder zu Manci, noch zu Erzsi, noch zu sonstwem. Aber überall im Land, wo immer wir waren, gingen Isti und ich an Bahnhöfe, um auf Abfahrtsplänen nach Zügen zu suchen, die nach Budapest fuhren. Wir gingen zu Fuß, wir fuhren mit dem Fahrrad, wenn es eins gab, wir ließen uns von Fremden auf ihrem Motorrad mitnehmen. Ich hatte Isti gezeigt, wie das Wort Budapest aussah. Es war das einzige Wort, das er lesen konnte, und für lange Zeit blieb es das auch. Nur wenige Züge fuhren nach Budapest. Wenn wir einen Zug entdeckten, merkten wir uns die Abfahrtszeit und sagten sie einander immer wieder auf. Isti vergaß nicht eine. Selbst wenn wir einen Ort längst schon verlassen hatten, behielt er die Abfahrtszeiten von dort im Gedächtnis. Wir machten es zu einem unserer Spiele. Isti forderte, frag mich was, ich nannte ihm einen Ort, und er sagte mir die Zeiten dazu. Für Abfahrt und Ankunft.

    Was sieben Uhr fünfzehn oder siebzehn Uhr dreiundfünfzig bedeuteten, wußten wir nicht wirklich. Für uns waren die Zeitangaben nicht mehr als Zahlen, nebeneinanderstehende Zahlen. So, wie der Preis für ein Kilo Kartoffeln oder sonst etwas, das wir mit dem Geld meines Vaters kauften. Das Komische war: Unser Leben ging weiter, obwohl meine Mutter uns verlassen hatte. Der Morgen kam, es wurde Nacht, und daß es so war, überraschte mich nicht mehr. Wir standen auf, wir setzten uns in Bewegung, wir fluchten, wir beteten, wir aßen, wir stritten miteinander. Mir kam es so vor, als würden wir etwas Unrechtes tun, als dürfte die Zeit nicht vergehen. Nicht so.

    Als Manci Jahre später starb, lebten wir wieder im Osten des Landes. Aus Erzsis Briefen, die uns hin und wieder erreichten, wußten wir, Manci hatte ihre Zunge nicht mehr bewegen, nicht mehr reden und kaum mehr schlucken können. Sie hatte sich nicht mehr gezeigt, sie schien auch das Haus nicht mehr verlassen zu haben. Wenn Erzsi bei ihr geklopft hatte, hatte sie nicht geöffnet, und Erzsi hatte Tüten mit Einkäufen vor Mancis Tür gestellt und war wieder gegangen.

    Jahre nach Mancis Tod fuhr ich nach Budapest, um ihr Grab auf dem Kerepesi-Friedhof zu besuchen. Ich ging sonntags, wenn alle gehen, ihre Hände aus den Wagenfenstern strecken, vor der Einfahrt, und den Blumenverkäufern die Sträuße abkaufen. Ich lief über Kieswege, die mir endlos schienen, vorbei an Namen, die ich laut vor mir her sagte, Tóth Lajos, Vitányi Orsolya, Hajdu Péter, und blieb stehen an Gräbern, vielleicht bloß, um vorzugeben, jemand zu sein, der jemanden hatte. Ein Friedhofswärter hatte ein Kreuz in einen Plan gezeichnet, für die Reihe, in der ich Mancis Grab finden würde. Auf ihrem Grabstein stand nur der Name, kein: Wir trauern um unsere geliebte, kein: Hier ruht in Frieden. Davor welkten in einem Topf gelbe Blumen. Ich fragte mich, wer sie gebracht hatte. Außer Erzsi fiel mir niemand ein, der sich die Mühe gemacht hätte, hierher zu kommen.

    Damals dauerte es lange, bis wir Budapest endlich verlassen hatten und die Stadt nicht mehr als ein dunkler Fleck im Rückspiegel war. Häuserfassaden zogen an uns vorbei, Straßen, Menschen, die liefen, die warteten, allein, in der Menge. Isti starrte aus dem Fenster, und ich dachte, irgendwo werden wir sie vielleicht entdecken. Mit ihrem Kopftuch, auf ihrem Fahrrad.

    Wir fuhren einen Tag und eine Nacht lang Richtung Osten. Als wir unsere Sachen gepackt hatten und die Treppen hinuntergestiegen waren, hatte mein Vater uns eingeschärft, er wolle keine Klagen hören, keinen Laut. Nicht jetzt und erst recht nicht während der Reise. Wenn wir etwas brauchten, sollten wir auf seine Schulter tippen, aber nicht Éva fragen. Isti und ich blieben still, auf der ganzen Fahrt

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