Der Schwimmer: Roman (German Edition)
Wenn er den Kopf hob, klebten Steinchen an seiner Wange.
Im Wellenbad hielt uns mein Vater hoch, und Isti zappelte in seinen Armen wie ein Fisch, den man an Land geworfen hat. Wir schrien, wenn große Wellen auf uns zurollten und meinen Vater ohrfeigten, wir stiegen auf seine gefalteten Hände und sprangen rückwärts ins Wasser. Wir waren unermüdlich. Erst als unsere Zähne klapperten, schickte uns mein Vater ins Thermalbecken, wo wir auf dem Rücken lagen und die Zehen aus dem Wasser streckten. Abends vor dem Einschlafen sagte mir Isti, er wolle Schwimmer werden.
Wenn mein Vater uns tagelang allein ließ, ging ich mit Isti zum Ostbahnhof. Wir liefen über Gleise, standen an Bahnsteigen und spuckten auf Straßenbahnen, die vorbeifuhren. Als wir besser wurden, spuckten wir auf Züge. Am liebsten auf Züge, die in unsere Richtung, in Richtung unseres Dorfes fuhren. Wir spuckten und brüllten, Küßt mir Vat! Grüßt mir Vat! Küßt Kovács von uns! Dann liefen wir erschöpft durch die Bahnhofshalle. Isti wiederholte Städtenamen, die sie über Lautsprecher ausriefen, auf unserem Weg zurück, viele Male hintereinander, und ich sagte, als wüßtest du, wo diese Orte liegen. Er sprach sie so aus, als seien es keine Städtenamen, sondern etwas anderes, ein Sprichwort, ein Gebet. Manchmal klang es so, als müßte man diese Namen genauso aussprechen, wie Isti es tat, wenn er sie schnell hintereinandersetzte: Hatvan-Hatvan-Hatvan, Gödöllő-Gödöllő-Gödöllő.
Isti träumte davon, Fische zu kaufen und sie in einem Aquarium schwimmen zu lassen. Ihnen zuschauen beim Schwimmen, das wollte er. Es gab diesen Fischladen in Pest, nur ein paar Straßen von der Högyes Endre utca entfernt. Isti und ich gingen oft dorthin. Wir standen vor dem Fenster und beobachteten die Fische in ihrem Bassin. Wie sie ihre Flossen bewegten. Wie sie zuckten, wenn man sie aus dem Becken nahm. Wie sie ihre Farbe dabei verloren. Isti leerte seine Blechbüchse vor den Augen des Fischverkäufers auf einem großen Tisch. Der Verkäufer goß Wasser in eine Plastiktüte und ließ sieben Fische hineingleiten, die sofort anfingen zu zappeln. Sieben Fische! Sieben Fische schwimmen für mich!, sang Isti auf dem Rückweg und sprang dabei so hoch, daß Wasser aus der Tüte schwappte. Vielleicht war er das letzte Mal so glücklich gewesen, als wir Kovács Kovács getauft hatten.
Drei Tage lang schwammen die Fische in Mancis Küche in einem alten Eimer. Morgens warfen Isti und ich Speisereste ins Wasser und sahen dabei zu, wie die Fische um Brotkrumen kämpften und dabei so heftig mit ihren Flossen schlugen, daß Wasser auf den Küchenboden spritzte. Einen kleinen schwarzen Fisch nannte Isti Königin. Warum glaubst du, daß er weiblich ist?, fragte Manci. Er ist der einzige, der glänzt, antwortete Isti.
Als mein Vater zurückkam und die Fische sah, wurde er furchtbar wütend. Er schickte uns aus der Küche und verschloß die Tür. Als wir kurz darauf zurückgerufen wurden, war der Eimer leer. Die Fische lagen auf dem Tisch, fein säuberlich nebeneinander. Mein Vater hatte ihnen die Köpfe abgeschnitten. Isti nahm die Überreste der Königin und verschwand. Er sprach drei Wochen lang nicht mit uns. Er versank in einen Dämmerzustand, der schlimmer war als Vaters Tauchen. Ich hatte Angst. Wenn mein Vater seine Hand auf Istis Schulter legte, schüttelte er sie ab. Wenn wir auf Isti einredeten, tat er so, als höre er uns nicht. Vielleicht hörte er uns wirklich nicht.
Éva.
Gegen Ende des Sommers sagte Manci, ich müsse zur Schule. Als mein Vater sich nicht rührte und Manci verkündete, sie selbst würde mich anmelden, packten wir unsere Sachen. Mein Vater nahm unsere Kleider aus dem Schrank, und ich legte sie ohne ein Wort zusammen, während Manci auf meinen Vater einredete. Wir trugen unsere Koffer nach unten. Über die Galerie, vorbei an den vielen Fenstern, die Treppen hinunter, den Briefkästen aus Blech entlang, genauso, wie wir gekommen waren. Erzsi folgte uns - Manci hatte an ihre Scheibe geklopft - und drückte Isti ein Päckchen Bitterschokolade in Stanniol in die Hände.
Jetzt erfuhren wir, wo mein Vater seine Budapester Nächte verbracht hatte: bei seiner Freundin Éva. Éva nahm uns in ihrem Wagen mit in Richtung Osten. Sie fuhr in ihre Zukunft, wie sie nicht müde wurde, Manci und Erzsi zu erklären. Sie habe einen Verlobten, Karcsi heiße er, und die Hochzeit sei in nur wenigen Wochen. Manci flüsterte Erzsi zu, gewiß sei er eine
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