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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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zum Ring. Wir hüpften die breite Treppe hinunter. Die Briefkästen waren leicht zu öffnen. Ich sah die fremde Post durch und suchte die schönsten Kuverts aus. Isti stand an der Tür, und wenn jemand kam, pfiff er durch die Zähne, so gut er konnte. Manchmal öffnete ich einen Brief, trug ihn über die Straße und warf ihn an der nächsten Ecke weg. Wir taten so, als hätten wir Post bekommen, als würde uns, ausgerechnet uns, jemand schreiben.

    Hin und wieder entwischte ich. Ich hängte Isti ab, der mir im Treppenhaus hinterherrief, Betrügerin, Verräterin. Ich lief zum Donauufer, obwohl Manci es verboten hatte, und versuchte, den Wind mit meiner Jacke einzufangen, die ich mit gestreckten Armen über den Kopf hielt, oder mit Plastiktüten, die Manci wie einen Schatz unter ihrem Sitzkissen aufbewahrte. Als wir noch in Vat gelebt hatten, war ich so mit unseren Laken über den Hof gelaufen, bis meine Mutter gerufen hatte, klemm sie endlich an die Leine.

    Mein Vater unternahm nichts, um Budapest zu verlassen, und wir, Isti und ich, wir sagten, daß wir zurückwollten. Wohin?, fragte mein Vater, und als Isti erwiderte: nach Hause, klang es zum ersten Mal komisch. Wir blieben den ganzen langen Winter, in einer Stadt, die grau war, vom Ruß, vom Rauch, vom Regen. Wir feierten mit Manci Weihnachten, und wir küßten sie zur Neujahrsnacht, in der sie schon nach einem Glas Sekt, das sie mit meinem Vater um Mitternacht trank, auf der Liege in der Küche einschlief.

    Im neuen Jahr schrieb uns Großmutter, sie habe Nachricht von meiner Mutter, die über das Rote Kreuz Grüße im Radio verschickt habe. Im Westen sei sie, im Westen Deutschlands. Ab sofort sah ich zu, daß niemand mehr das Radio abschaltete, und hörte auf fremde Stimmen, die von Dingen sprachen, die ich nicht verstand. Wenn die anderen gingen, blieb ich. Es kamen keine Grüße mehr übers Radio. Wenigstens nicht für uns.

    Später schickte uns Großmutter Briefe meiner Mutter, dazu ein Kärtchen, auf dem stand, daß alle Briefe geöffnet und wieder zugeklebt worden seien. Meine Mutter schrieb, sie sei in einem Lager, in einer kleinen Stadt. Im Wirtshaus hätten zwei Ungarn Krawall geschlagen, und der Wirt habe ein Schild über den Eingang gehängt: Für Ungarn verboten. Der nächste Brief kam aus einer anderen Stadt, weiter im Norden, wo meine Mutter jetzt als Spülerin in einer Gaststätte arbeitete. Manci las uns die Briefe vor, wenn mein Vater nicht da war, auf unser Drängen immer wieder, obwohl wir jedes Wort, jeden Satz schon kannten. Wenn sie etwas übersprang, beschwerte sich Isti, daß sie das mit dem Lager oder das mit den Gläsern ausgelassen hatte, und dann las Manci weiter, und jedesmal sagte sie, da hatte es eure Mutter bei uns doch genauso gut.

    Als es Sommer wurde, lief ich an den Nachmittagen zum Donauufer, legte mich ins Gras, schaute den Ruderern zu und wiegte mich in den Kommandos, die sie einander zuriefen, in ihren lauten, harten Stimmen, die so anders waren als die weichen, leisen Geräusche des Wassers. Ich stellte mir einen langsam in die Nacht fahrenden Zug vor und mich als einzigen Fahrgast. Pest entglitt ich auf diese Weise oft. Es gelang mir sogar, ohne die Augen schließen zu müssen. Ich floh vor Manci, wenn sie abends ihre Beine hochlegte, ich floh vor Isti, vor der Stadt, vor der Mauer, die ich vom Küchenfenster aus sah. Mein Zug fuhr einem hellen Mond entgegen. Er donnerte über Brücken aus Stahl. Ich schaute hinunter auf Flüsse, die ich in der Dunkelheit nur erahnen konnte.

    Manchmal verbrachte mein Vater den ganzen Tag mit uns. Geld für das Freibad hatten wir nicht, aber mein Vater kannte am Palatinus eine Stelle, an der wir leicht über den Zaun klettern konnten. Er stemmte uns nach oben und zog sich dann selbst am Zaun hoch. Auf der anderen Seite sprang er hinab, und wir ließen uns kreischend in seine Arme fallen. Weder Isti noch ich konnten schwimmen. Niemand konnte schwimmen, wenigstens nicht dort, wo wir gelebt hatten. Nur mein Vater. Er schwamm seine Bahnen, und Isti und ich, wir schauten ihm vom Beckenrand aus zu. Ich verpaßte keine seiner Bewegungen. Er hob und senkte seinen Kopf, zog seine Lippen zu einem O, jedesmal, wenn er auftauchte, warf seine Arme nach vorne, und wenn er sie wieder eintauchen ließ, verdrängte er dabei soviel Wasser, daß es über den Beckenrand trat. Vor meinen Augen bildete sich eine kleine Pfütze, in die ich meine Zehen steckte. Isti legte sein Gesicht auf den warmen Asphalt.

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