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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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hielt ich mir vor. Dies hier war nun wirklich nichts Neues für mich! Schon oft hatte ich meine Mutter vom Rand des Abgrunds zurückgeholt. Von allen Mitgliedern ihres Hofs war ich die Einzige, die es vermochte, sie zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen, wenn diese Krisen über sie hereinbrachen. Und kein einziges Mal hatte sie mir etwas zuleide getan.
    Dann hörte ich vom Bett her ein Rascheln. Angestrengt spähte ich in die Schatten und erkannte schließlich ihre Gestalt. Ein Schauder huschte mir über den Rücken. Noch immer hatte ich die Todesnacht meines Vaters, als ich geglaubt hatte, den Geist des Konnetabels zu sehen, in schrecklicher Erinnerung.
    »Mama, ich bin hier. Kommt heraus. Sagt mir, was Euch so erschreckt hat.«
    Langsam tastete sie sich nach vorn. Zerzaustes Haar umrahmte ihr bleiches Gesicht, ihre langen weißen Hände kneteten ihre Robe. » Hija mia , er ist hier. Er ist zurückgekommen, um mich zu quälen.«
    »O nein, Mama, das ist nur der Wind.« Ich ging weiter zur Anrichte, auf der ich eine Kerze erspäht hatte. Während ich mit dem Feuerstein eine Flamme schlug und sie gegen den Docht hielt, schrie meine Mutter: »Nein, kein Licht! Sonst sieht er mich noch! Er wird …«
    Sie verstummte, als ich mich, die brennende Kerze mit beiden Händen haltend, zu ihr umdrehte. Der flackernde Lichtkreis rückte die Schatten an den Wänden höher. »Seht Ihr, Mama? Es ist niemand hier außer Euch und mir.«
    Mit den gespenstisch weit aufgerissenen blaugrünen Augen suchte sie das Gemach ab, als befürchtete sie, ihren Quälgeist in den Ecken lauernd vorzufinden. Schon wollte ich einen Schritt zurückweichen, als sie plötzlich erschlaffte. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung steckte ich die Kerze in einen Leuchter und führte meine Mutter dann zu einem Stuhl. Sobald ich mich vor ihr auf einen Hocker gesetzt hatte, nahm ich ihre eisigen Hände in die meinen.
    »Ich weiß, dass du mir nicht glaubst«, murmelte sie mit einer Stimme, die immer noch einen Nachhall ihrer panischen Furcht enthielt. »Aber er war hier. Ich habe ihn beim Fenster gesehen. Er hat mich angestarrt, und zwar genauso wie damals, als er noch lebte und mir beweisen wollte, wie viel Macht er über deinen Vater hatte.«
    »Mama, der Konnetabel Luna ist tot. Niemand war hier. Niemand wollte Euch etwas antun. Das schwöre ich Euch.«
    Sie entzog mir ihre Hand. »Wie kannst du mir so etwas schwören? Du weißt nichts davon; du verstehst nichts davon. Kein Mensch hat einen Begriff davon. Aber er schon. Er weiß, dass eine Blutschuld bezahlt werden muss.«
    Es überlief mich eiskalt. »Mama, wovon sprecht Ihr da? Welche Schuld?«
    Sie schien mich nicht zu hören. »Ich hatte keine Wahl«, sagte sie. »Er hat mir deinen Vater geraubt. Er war eine Ausgeburt der Hölle, ein Dämon: Er hat deinen Vater von mir weggelockt, ihn verführt. Und doch haben sie behauptet, ich wäre schuld daran. Juan hat mir damals gesagt, er wünschte, er wäre an jenem Tag auch gestorben, dann könnte er bei seinem geliebten Freund sein. Und das ist ja auch geschehen: Er ist gestorben. Er hat gar nicht versucht zu leben – nicht für mich, nicht für seine Kinder. Dieser … dieser unnatürliche Mann war ihm lieber.«
    Ich wollte nichts davon hören. Das alles war nicht für meine Ohren bestimmt. Ich war doch nicht ihr Beichtvater. Aber wir waren allein. Und ich musste sie so weit beruhigen, dass sie sich wenigstens wieder bereit zeigte, sich versorgen zu lassen. Und dann gab es auch noch diesen Brief, den Grund, warum sie überhaupt in diesen Zustand verfallen war. Ich musste herausfinden, was darin stand.
    »Papa ist an einer Krankheit gestorben«, sagte ich stockend. »Das war keine Absicht. Er war krank. Er hatte Fieber und …«
    »Nein!« Sie erhob sich. »Er wollte sterben! Er wählte den Tod, damit er mir entkommen konnte. Geliebte Jungfrau, Mutter Gottes, das ist der Grund, warum ich keine Ruhe finde, warum ich Tag für Tag entsetzliche Qualen aushalten muss. Hätte ich diese Tat nicht begangen, würde Juan vielleicht noch leben. Ich wäre immer noch Königin. Wir würden immer noch den uns gebührenden Rang bekleiden!«
    Als wären sie bei uns im Gemach, hörte ich plötzlich die Worte der Hofdamen, die sie vor so langer Zeit geflüstert hatten: Diese portugiesische Wölfin hat es getan … Sie hat Luna umgebracht.
    Meine Mutter hatte den besten Freund meines Vaters vernichtet. Das war der Grund, warum sie glaubte, sein Geist würde sie

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