Der Schwur der Königin
ganze widerwärtige Rasse. Offenbar hatte er sich geweigert, das Gesetz zu befolgen und in seinem Ghetto zu bleiben. Wenn er darauf besteht, seinen Käse auf dem Markt zu verkaufen, wie können unsere Magistraten für das, was ihm dort zustößt, verantwortlich gemacht werden?«
Medina Sidonias Unverschämtheit traf mich nicht unvorbereitet. Jeden Tag erschien er in kostbarer Seide und Samt am Hof, begleitet von einer eines Machthabers würdigen Garde. Sein Schwert zeugte von höchster Handwerkskunst, seine Handschuhe und Ärmel waren mit Juwelen und Gold geschmückt; kurz, so zu leben wie er, das erforderte beträchtliche Einkünfte. Und wie es bei den meisten Granden seit Jahrhunderten der Brauch war, alimentierte er zweifellos auch die Magistraten, welche ihm ihrerseits einen Anteil von dem zurückzahlten, was die Raubzüge ihrer Diebesbanden einbrachten. Das war eine althergebrachte Methode, eine aufwendige Lebensweise zu bestreiten und zugleich große Teile des eigenen Territoriums in den Würgegriff zu nehmen. Doch ich war fest entschlossen, diese Art von abscheulicher Verderbtheit in meinem Reich auszurotten.
Ohne den Blick vom Herzog abzuwenden, fragte ich: »Ist es den Juden verboten, sich auf dem Marktplatz unter die christliche Bevölkerung zu mischen?« Dass dem nicht so war, wusste ich bereits. Anders als in Kastilien, wo die Toleranz gelinde gesagt schon immer einen schweren Stand gehabt hatte, war man in Andalusien ein friedlicheres Miteinander gewohnt. Obwohl in dieser Region viele Juden es vorzogen, in ihrem alten, ihnen zugewiesenen Bereich zu bleiben, war in diesem Landesteil seit Jahrhunderten keine Trennung von der christlichen Bevölkerung erforderlich gewesen.
Medina Sidonias Miene gefror. »Das vielleicht nicht, aber der gesunde Menschenverstand gebietet …«
»Der gesunde Menschenverstand? Edler Herr, selbst wenn den Juden das Betreten des Marktplatzes verboten wäre , was nicht der Fall ist, wurde dieser Mann genötigt und überfallen, sein Eigentum gestohlen und seine Tochter mit schlimmen Folgen entehrt. Welche Vernunft lässt sich da noch erkennen, wenn Bürger dieser Stadt um ihren Lebensunterhalt, ja, ihr Leben selbst fürchten müssen?« Ich wandte mich an den Mann, der sich duckte, als würde er am liebsten verschwinden. »Kennt Ihr die Männer, die in Euer Haus eingedrungen sind?«
Er nickte und flüsterte mit kaum hörbarer Stimme. »Sie waren auch die Diebe. Sie … sie haben das Gleiche auch anderen angetan, und der Magistrat wusste über alles Bescheid. Sie stehlen von uns, weil wir Juden sind und uns nicht mit Waffen gegen Christen verteidigen dürfen.«
Ich deutete auf Cárdenas, der mir bei diesen Gerichtssitzungen als Erster Sekretär diente und einem aus Rechtsgelehrten gebildeten Beirat vorstand. »Lasst meinen Sekretär wissen, wer diese Verbrecher sind und wo sie angetroffen werden können«, forderte ich den Mann auf. »Ich werde dafür sorgen, dass sie verhaftet und« – ich warf Medina Sidonia einen vielsagenden Blick zu – »verurteilt werden. Wenn sie für schuldig befunden werden, was meiner Überzeugung nach unvermeidlich ist, werden ihnen die Eingeweide herausgerissen und ihre Körperteile an den Stadttoren aufgehängt. Das soll anderen als Warnung dienen, dass Isabella von Kastilien ihren Schutz allen Untertanen gewährt, unabhängig von ihrem Glauben oder Stand.«
Mit gesenktem Kopf und über die Wangen strömenden Tränen murmelte der Mann: »Gott segne Euch, Majestad .« Gleich danach führte Cárdenas ihn zu seinem Tisch, um die Einzelheiten seiner Klage aufzunehmen.
»Eure Majestät sollten das Gesindel nicht verhätscheln«, hörte ich Medina Sidonia mit abgehackter Stimme nörgeln. »Das bestärkt es nur in seinem Trotz.«
»Mir scheint, dass Ihr es seid, hoher Herr, der das Gesindel bestärkt«, gab ich zurück, ihn mit eisigem Blick fixierend. Er verneigte sich tief und murmelte eine Entschuldigung.
Jetzt hatte ich Blut geleckt. Ich wandte mich wieder den wartenden Bittstellern zu. Medina Sidonia wusste, was ich von ihm erwartete, und ich fühlte mich vollkommen bestätigt, als mir wenige Tage später hinterbracht wurde, dass die Tore Sevillas mit den zerfetzten und blutverschmierten Körperteilen der Verurteilten geschmückt worden waren. Wenn die Insassen dieser Brutstätte der Gesetzlosigkeit glaubten, ich würde aus Nachgiebigkeit Gnade üben oder vor den brutaleren Aspekten meiner Pflicht zurückschrecken, weil ich eine Frau war,
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