1799 - Er holt sie alle
Nebelfetzen lagen im Garten wie vergessene Tücher. Die graue Dämmerung sorgte zudem dafür, dass alle Umrisse verschwammen und nichts mehr so aussah wie bei Tageslicht.
Cindy Dale stand am Fenster und ließ ihre Blicke durch den Garten schweifen. Jeder, der sie sah, hätte sie als in Gedanken verloren beschreiben können, das traf auch zu. Die Achtzehnjährige mit dem wilden Igelhaarschnitt dachte darüber nach, ob sie nach draußen gehen sollte oder nicht. Eigentlich hätte sie gehen müssen, denn das, was sie holen wollte, befand sich im Garten. Es lag dort nicht auf der Erde, sondern in einem kleinen Gartenhaus, in dem allerlei Gerümpel untergebracht war. Unter anderem auch die Girlande für die Feier im Gemeindehaus.
Nur hatte Cindy keinen richtigen Bock. Es war kalt, sie mochte den Nebel nicht, und da wollte sie eigentlich nicht raus. Zwar hatte sie die Girlande für heute versprochen, aber morgen war auch noch ein Tag. Dann wollte sie das Zeug holen, wenn es heller war als jetzt. Der Nebel war ihr einfach zu unheimlich, um durch den Garten zu gehen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es nicht gut war. Sie wusste selbst nicht, warum sie so dachte, aber es war nun mal so.
Cindy wollte sich abwenden, als es passierte. Ihr Handy meldete sich mit einer weichen Melodie, und sie zuckte leicht zusammen. Der Apparat hing an ihrem Gürtel wie eine Pistole. Sie zog ihn aus der Tasche und erkannte schon an der Nummer, wer etwas von ihr wollte.
»Hi, Jimmy.«
»Alles klar?«
»Ja, warum fragst du?«
»Das weißt du doch.«
»Nein, echt nicht.«
»Wir waren doch verabredet.«
»Ach …?«
»Ja. Oder hast du das vergessen?«
Sie kicherte. »Nein, habe ich eigentlich nicht.« Aus dem Kichern wurde ein Lachen, und sie wollte dann etwas sagen, aber Jimmy kam ihr zuvor.
»Du wolltest was mitbringen.«
Sie stellte sich dumm. »Was denn? Und wohin?«
»Ins Gemeindehaus. Die Girlande, die vom letzten Jahr. Wir könnten sie jetzt putzen und sie dann aufhängen, das hast du versprochen, und jetzt warten wir auf dich.«
Cindy Dale schloss die Augen. Sie ärgerte sich, dass man sie erwischt hatte. Jetzt musste sie wohl oder übel die Girlande aus dem Gartenhaus holen.
»Du hast mich gestört, Jimmy. Ich bin gerade dabei, die Girlande zu holen.«
»Dann ist es okay. Ich habe schon gedacht, du hättest alles vergessen.«
»Wie könnte ich?«
Da musste Jimmy lachen. »Na ja, die Schnellste bist du nicht gerade.«
»Das tut weh.«
»Ich habe es ja nicht böse gemeint.«
»Gut. Dann komm ich zu euch mit der Girlande.«
»Es kann auch jemand kommen, der dir beim Tragen hilft.«
»Nein, nicht nötig. Die schaffe ich schon allein. Sie kommt in den Wagen hinter dem Bike.«
»Auch okay.«
»Und was macht ihr?«
»Wir basteln noch an den Masken. Sie sollen schließlich richtig echt aussehen.«
»Gut, ich gehe dann.«
»Bis gleich.«
Cindy streckte das Handy weg und streckte sich selbst die Zunge raus, was sie im Fenster sah. Jetzt hatte sie sich festgelegt. Jetzt musste sie raus, denn die Freunde vertrauten ihr und sie konnte sie nicht im Stich lassen.
Das Haus hatte einen Hinterausgang. Neben der Tür hing noch eine Jacke, die Cindy überstreifte, denn draußen war es nicht eben warm. Dann schloss sie die Tür auf und drückte sich ins Freie.
Ihre Eltern waren nicht da. Ihr Vater hatte Spätschicht und die Mutter arbeitete in einer Bäckerei, die erst am Abend schloss. Cindy Dale war es gewohnt, alleine zu sein. Sie hatte trotzdem ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Zudem war sie ein Einzelkind. Geschwister hatte sie sich nie gewünscht.
Der Nebel war noch da.
Sie ging in den Garten. Er war nicht groß, manche bezeichneten ihn als eine übergroße Tischtennisplatte, was die Dales nie gestört hatte. Sie freuten sich über den kleinen Garten und bauten sogar noch Gemüse an.
Sie steuerte das Gartenhaus an.
Cindy hatte es nie gemocht. Den Grund kannte sie nicht. Es konnte sein, weil es dort immer etwas roch. Zumeist nach Farbe, denn dort bewahrte ihr Vater seine Malersachen auf.
Die Hütte hatte Jim Dale selbst gebaut. Sie war stabil, hatte manchem Sturm widerstanden, und die Tür hatte sogar ein Schloss.
Die Hütte wurde allerdings nicht immer abgeschlossen, und Cindy konnte die Tür aufziehen.
Vor ihr lag das Dunkel. Erneut bekam sie eine Gänsehaut.
Sie blieb an der Schwelle stehen und atmete scharf ein. Plötzlich fürchtete sie sich davor, in die Hütte zu gehen.
Cindy wartete. Sie schaute
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