Adama: Teil 1 (German Edition)
Adama
„He, Adama, leg doch endlich das Buch weg und kümmere dich um deine
Kundschaft!“
Auf Modibos gereizten Ruf schaute Adama auf und sprang augenblicklich vom
Bürgersteig auf. Eine Menschentraube hatte sich vor seinem Tuch aus schwarzem
Samt angesammelt, auf der kleine Eiffeltürme ordentlich aufgereiht in der Sonne
blinkten. Modibo hatte gerade alle Hände voll zu tun, seinen eigenen Kram zu
verkaufen, denn eine Reisegruppe war bis zu ihnen vorgestoßen.
„Tut mir leid.“
„Scheiß drauf! Diese Gruppe ist geil auf unsere Sachen und wenn du deinen
Mietanteil zahlen willst, dann verkaufe jetzt!“
Gehorsam lächelte Adama einem Trupp älterer Damen zu, die mit geschulten Augen
seine Auslage auf dem Boden betrachteten. Er verkniff sich ein Seufzen. Diese
Kundschaft wusste genau, was sie wollte. Das Mitbringsel durfte nicht zu teuer sein
und musste trotzdem nach etwas aussehen. Wie erwartet, waren die Touristinnen
zögerlich, verglichen, prüften, tuschelten und zeigten mit den Fingern auf die Türme
in verschiedenen Farben und Größen. Adama überlegte, ob er auf die Feilscherei
eingehen sollte, doch er blieb hart. Das schäbige Zimmer, das er sich mit Modibo
teilte, kostete immerhin fünfhundert Euro pro Monat. Obwohl sie sich das Bad mit
zwanzig anderen Mietern teilen mussten. Dafür war der Vermieter nicht neugierig, ein
Vorteil, der manchmal nicht mit barer Münze zu bezahlen war.
Die hellen Mauern von Sacre Coeur, die in wuchtiger Anmut nur wenige Meter
von ihnen entfernt aufragten, strahlten in der heißen Augustsonne. Die bronzene
Jeanne d’Arc auf dem Vorbau reckte sich stolz im Sattel ihres Pferdes. Auf dem
Montmartre wehte ein laues Lüftchen, während die Hitze über dem restlichen Paris
hing wie eine Glocke. Hinter sich hörte Adama das Rauschen der Bäume, die er
immer noch nicht auseinander halten konnte. Seit acht Wochen wohnte er in einem
der Wohnsilos in der Banlieu und dort überlebten nur kümmerliche Buschreihen, fast
so wie in Mali, seiner Heimat. Das Schnattern der Kundinnen verstummte allmählich,
drei Türme hatte er verkaufen können. Er steckte das Geld in seinen Lederbeutel
und setze sich darauf, bevor er mit einem zufriedenen Ausdruck das Buch wieder zur
Hand nahm.
„Adama“, stöhnte sein Freund und schlug ihm auf den Rücken. „Du wirst es nie zu
einem Geschäftsmann bringen.“
„Das will ich auch nicht“, gab er ungerührt zurück. „Ist doch scheiße, ständig die
Angst vor den Bullen.“
„Hör doch auf, Adama. Was willst du denn machen? Sei froh, dass Abdul eingewilligt
hat, dir einen Platz hier zu geben.“
Adama nickte und ließ die Schultern sacken. Die begehrten Verkaufsplätze waren
hart umkämpft und der Aufenthalt streng unter den illegalen Verkäufern aus aller
Welt geregelt. Sie selbst durften bis achtzehn Uhr hier bleiben, danach übernahmen
die Pakistani die Herrschaft und verkauften dezent und unaufdringlich Dosenbier an
die abendlichen Bummler, die auf den Stufen der Treppe die Aussicht auf das
strahlende Paris genossen. Die Polizei wusste von ihrem Treiben, so hatte Modibo
es erzählt. Auch, dass hin und wieder Razzien stattfanden, die zur unvermeidlichen
Abschiebung führten. So eine Razzia machte sich gut in den Medien und bei den
Touristenverbänden, doch Adama war sicher, dass auch die Polizisten ihren Anteil
am Verkaufserlös einsackten und dafür ein Auge zudrückten.
„Da kommt Jean Luc.“ Modibo wies mit der Hand auf einen Mann in Jeans und einem
sportlichen Oberhemd, dessen obere Knöpfe offen waren. Adama verengte seine
Augen zu Schlitzen. Der Gang des Mannes war selbstsicher, sein Gesicht mit dem
Bartschatten war markant.
„Wer ist das?“
„Ein neuer Bulle. Mach dir keine Sorgen“, beruhigte Modibo und grinste den Fremden
an, dessen Haare einer kurz geschorenen Bürste glichen. Adama musterte ihn und
erhaschte, als er vor ihnen stand, einen Blick auf die braungebrannte Haut im
Ausschnitt seines Hemdes. Er leckte sich über die Lippen, als er die überraschenden
Grübchen auf seinen Wangen erblickte, die seinem Ausdruck die Härte nahm. Seine
Augen glitten wie von selbst weiter: dezente Brustmuskulatur formte sich unter dem
Stoff und als er auf den Hintern des Mannes zu schauen wagte, präsentierte der sich
fest und stramm. Adama sah schnell zu Boden und zählte zur Beruhigung seines
Herzschlags die Eiffeltürme zu seinen Füßen.
„Salut, Jean-Luc, was geht?“
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