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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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hatte sich der edle Enrico Cappello noch intensiver dem Osthandel hingegeben und im Kielwasser der christlichen Kreuzfahrerschiffe einen Goldschatz nach dem anderen angehäuft.“
    Die beiden Frauen ließen sich auf einer Ruhebank am Ufer des Canal Grande nieder. Die Damigelle hielten sich im gebührenden Abstand. Auf der einzigen Fußgängerbrücke über den breiten Kanal, der Ponte di Rialto, wimmelte es von Menschen, und ein geschäftiges Treiben flutete in beide Richtungen. Unter der Brücke hindurch glitten die prächtigsten Gondeln mit den edelsten Frauen und Männern. Die Gesänge der Gondoliere hallten über den Canal.
    „Schau auf dieses Provisorium“, Pellegrina deutete auf die Holzbrücke. „Die Brücke ist vor langer Zeit unter den Massen eingestürzt. Sie ist nur behelfsmäßig aufgebaut worden. Seinerzeit bestaunten zu viele Beobachter auf ihr eine Prozession auf dem Canal. Die Brücke hat es nicht ausgehalten. Als sie brach, stürzten die Menschen in der Tiefe zu Tode. Ausgerechnet bei einer Prozession geschah es. Die Gläubigen sagten, Gott habe es so gewollt, er habe die Guten zu sich geholt. Derartige Entschuldigungen erfinden die Menschen immer dann, wenn sie keine andere Antwort haben. So geschah es seinerzeit auch bei den Kreuzzügen. Vor allem dieser Vierte war für die Cappello sehr lehrreich.“
    „Lehrreich, warum lehrreich? Ich denke sie haben sehr gute Geschäfte gemacht?“ Bianca begann, die Geschichte der Cappello unter einem einzigen Wert zu betrachten. Was konnte sie für ihr Leben daraus lernen?
    „Das auch, doch höre zu“. Pellegrinas Atem rasselte und pfiff. „Vor Beginn des vierten Kreuzzuges hatte der Doge in der Markuskirche seinen Namen unter die einträgliche Vereinbarung mit den Kreuzfahrern gesetzt. Die Venezianer versprachen den Rittern und Fürsten, die auf eine Überfahrt hofften, sie mit ihren Schiffen in das Gelobte Land zu bringen. Als Dank erhielten sie von den heimkehrenden Christenrittern vier geraubte kostbare antike Bronzepferde, die über dem Portal der Markuskirche noch heute von den Raubzügen berichten. Nahezu vierhundert Jahre zuvor hatten Plünderer einen noch wertvolleren Schatz aus Alexandria geraubt. Die Gebeine des Evangelisten Markus ruhen seither in der prunkvollen Kirche. Auch wenn die verehrten Knochen nur einem Priester gehört hatten, so zumindest las ich es als Randbemerkung in einem der wertvollen Bücher unserer Vorfahren. Aber all diese Raubzüge geschahen mit dem Segen der Kirche. Die Venezianer nutzten das schamlos aus.“
    Erschöpft von den vielen Worten, schwieg Pellegrina. Die Damigelle stützten sie und führten sie zurück in den Palazzo. In Biancas Gesicht spiegelte sich die Traurigkeit wieder. Zu viele Fragen blieben unbeantwortet. Die Bedeutung zu vieler Geschehnisse war ungeklärt. Vor allem die drohende Ahnung des baldigen Todes der Mutter, des Alleinseins, drohte ihre Welt zu zerreißen. Noch bevor sie das Portal des Palazzo erreicht hatten, blieben sie erneut stehen. Mutter und Tochter schauten sich liebevoll an.
    Zärtlich strich Pellegrina ihr über das Haar.
    „Studiere und nutze dein Wissen zu deinem und zum Wohle anderer.“
    „Wie fühlst du dich Mutter?“, fragte Bianca.
    „Nun, da ich dir das Wesentliche gesagt habe, fühle ich mich erleichtert. Ich hoffe, ich habe noch eine lange Zeit mit dir.“
    Es geschah schneller als sie geahnt hatten. Schon bald nach diesem Gespräch verstarb die Mutter, und niemand weinte so sehr um sie, wie Bianca.
    Die Handelsfamilie Cappello
    Endlich fand Bianca zurück zu den Studien der alten Schriften in Vaters Bibliothek.
    Könnte sie aus den Tagebüchern, den geschäftlichen Niederschriften und vorhandenen Dokumenten etwas für ihr Leben lernen?
    Wie gut war die rechtzeitige Vorsehung Pellegrinas gewesen. Wie lehrreich die Schule, die sie ihrer Tochter mit auf den Weg gegeben hatte. Bianca allein ahnte den Verlust, der sie nun in eine abweisende Welt entließ, in der sie noch nicht einmal ihrem Vater und ihrem Bruder Vittorio vertrauen durfte. Letztlich blieben ihr nur zwei Menschen, denen sie ihr Herz öffnen konnte, Tante Gritti und ihre Amme, die noch immer schöne Cattina. Nach Tagen voller Tränen fand Bianca zu ihrer Kraft zurück. Sie beherzigte die Worte der Mutter und studierte ausgiebig die Geschichte der Familie.
    In dem Bewusstsein, im Leben die Rolle zu spielen, die ihr zustand und nicht die Wege zu gehen, die ein Mann, nur weil er ein Mann ist, ihr vorgeben würde,

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