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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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verließ sie morgens in der Gondel den Palazzo und kehrte erst abends wieder heim.
    Die Hexe Stiefmutter, wie Bianca sie nannte, hatte auf Gritti keinen Einfluss, sie konnte ihr nicht vorschreiben, was das Mädchen zu lernen hatte.
    „Mein Kind, du machst mir sehr viel Freude“, lächelte die Tante, „du bist ein kluges Mädchen mit sehr viel Geist. Du hast den Charakter, der in unserer Zeit bei einer Frau vonnöten ist, um zu überleben. Wenn wir Zeit genug haben, wirst du hier lernen, dich zu behaupten. Du beherrschst das Spielen der Laute, weißt, wie sich ein Mädchen in der guten Gesellschaft benehmen soll, ohne Unterwürfigkeit den Männern gegenüber, und du führst Gespräche geschickt. Ich denke, wir können uns dem Studium der Kunst und der Literatur zuwenden, damit deine Gespräche noch gebildeter sind, und du mehr Einfluss ausüben kannst.
     
    Bianca stimmte freudig erregt den Gedanken ihrer Tante zu.
    Gritti beauftragte mit der Öffnung der literarischen Werke und des Kunstverständnisses Valeriano Balzano, einen edlen und geachteten Mann in Italien. Als ehemaliger Sekretär der Medici Päpste Leo X. und Klemens VII., war er der richtige Lehrer, zumal er den Bastard des Papstes Klemens VII., Alessandro, und den Bastard des Giuliano de’Medici, Ippolito, in Florenz und in Rom erzogen hatte. Bianca horchte zum ersten Mal wachsam auf. Beide Mediceer waren ermordet worden, das war bis nach Venedig gedrungen. „Was war da falsch gelaufen?“, fragte sich die Tochter aus reichem Haus. Balzano hatte zwei später Ermordete gelehrt. Höchst beachtenswert. Welche Intrigen, welche Ränkeschmiede mochten da in Gang gewesen sein? Von Balzano, von dem es hieß, er sei ein gottloser Gelehrter, konnte sie mehr aus den Herrscherhäusern erfahren, über die Denkweise, die Vorhaben und die Beeinflussbarkeit, über Streitgespräche, Intrigen und Sexspiele der kirchlichen und irdischen Größen.
    Sie war noch sehr jung, noch nicht einmal elf Jahre alt. Der alte Valeriano litt unter der Gicht, was ihn in seinen Bewegungen hinderte. Sein Geist aber war wach und lebendig, wenn er dem Mädchen die abenteuerlichsten Geschehnisse aus dem Reich der päpstlichen und herzoglichen Höfe schilderte. Seine Bildung und sein Interesse für all die Dinge dieser Welt ließen die Augen der Tochter Cappellos hell erstrahlen, und ihre Schönheit gewann mit ihrem Zuwachs an Kenntnissen und Erfahrung.
    Bianca ahnte es nur, konnte es aber noch nicht so richtig einreihen, was die Bildung aus dem Hause Gritti für sie bedeuten könnte.
    Über allem genoss das Mädchen die Gespräche über Kunst und Literatur mit dem gebildeten Balzano.
    „Messer Balzano, sagt doch, was verleitet Euch dazu, einem jungen Mädchen wie mir, all diese Kenntnisse zu vermitteln“, forderte sie ihn eines Tages heraus. „Ich habe mir sagen lassen, dass der Herzog in Florenz, Cosimo, Euch einen hohen Posten angeboten hat, der sicher besser entlohnt worden wäre, als die Arbeit mit mir. Wäre sie nicht auch interessanter gewesen, mit den großen Köpfen Italiens zusammenzuarbeiten, als mit einem zehnjährigen Mädchen?“
    „Es gab tatsächlich ein solches Angebot“, lächelte ihr Erzieher. „Und ich habe es abgelehnt. Nun warum? Ich habe viel mit den so genannten großen Köpfen zusammengearbeitet. Ich habe gelernt und habe lernen müssen, woraus sich die so genannten großen Köpfe zusammensetzen, was in Wirklichkeit groß an ihnen ist.“
    „Was ist groß an ihnen?“
    „Natürlich lassen sie sich nicht alle mischen. Doch besteht ihre Größe oft nur darin, ausschließlich sich selbst zu sehen, nicht die anderen. Ich für meinen Teil aber denke, die Zeiten monarchistischen Denkens sind auf dieser Erde vorbei. Auch wenn sie in anderen Gegenden erst begonnen haben.“
    „Welche ‚Gegenden‘ meint ihr damit?“
    „Ihr führt mich auf ein gefährliches Terrain. Doch lassen mich mein Alter und meine Krankheit keine irdische Strafe mehr fürchten. Wohl aber kann ich einem geistig wachen Wesen, wie ihr es seid, einiges anvertrauen, nicht mit der Überzeugung, aber mit der Hoffnung, dass ihr davon keinen Gebrauch gegen mich machen werdet.“
    Bianca lächelte ihn an, sie würde niemals etwas gegen ihn unternehmen.
    „Ihr wisst, was in Florenz geschah, dort, wo ich die Stellung abgelehnt habe. Cosimo entwickelt sich weiterhin zum Despoten. Ich gebe Euch ein Beispiel seiner grenzenlosen Herrschsucht.
    Bianca zeigte sich an diesen Vorgängen sehr interessiert. Im

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