Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
vor eine Leerstelle war, unausgefüllt und ungeklärt, sondern dass der Entführer des Jungen jederzeit wieder zuschlagen konnte. Niemand mochte einen offenen Fall, ganz zu schweigen von einem so verstörenden. Der Anruf von Jim Chapman hatte Simon zum Angus-Fall zurückgeholt, zur Polizei, zur Arbeit … und dazu, wie er diese Arbeit in den letzten paar Monaten empfunden hatte. Und warum.
Die Konfrontation mit dem trickreichen Spin-Bowling eines Herzspezialisten zwang ihn, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Simon schlug den ersten Ball und rannte los.
Das Wiehern des Ponys auf der Koppel weckte Cat Deerborn aus einem höchstens zweistündigen Schlaf. Verkrampft lag sie da und fragte sich, wo sie war. Sie war zu einem älteren Patienten gerufen worden, der die Treppe hinuntergefallen war und sich das Oberschenkelhalsbein gebrochen hatte, und bei der Heimkehr hatte sie die Tür zufallen lassen und damit ihr jüngstes Kind geweckt. Felix war hungrig, durstig und unleidlich gewesen, und schließlich war Cat neben seinem Kinderbettchen eingeschlafen.
Jetzt richtete sie sich vorsichtig auf, aber Felix’ warmer kleiner Körper regte sich nicht. Die Sonne schien durch einen Spalt in den Vorhängen auf sein Gesicht.
Es war erst zehn nach sechs.
Das graue Pony stand grasend am Zaun und wieherte erneut, als es Cat mit einer Möhre in der Hand auf sich zukommen sah.
Wie könnte ich das alles verlassen?, dachte sie und spürte das weiche Maul. Wie könnten wir es ertragen, dieses Bauernhaus, diese Felder, dieses Dorf zu verlassen?
Die Luft duftete süß, in der Senke lag Nebel. Ein Specht stieß seinen Ruf aus und flog auf die Eiche am anderen Ende des Zauns zu.
Chris, ihr Mann, war wieder ruhelos, unglücklich in der Allgemeinarztpraxis, wütend über die Last der Verwaltungsarbeit, die ihn von seinen Patienten fernhielt, genervt von dem Berg neuer Vorschriften und Kontrollmaßnahmen. In den vergangenen Monaten hatte er mehrfach davon gesprochen, für fünf Jahre nach Australien zu gehen – was genauso gut für immer sein könnte, dachte Cat, da sie wusste, dass diese Befristung nur zu ihrer Beschwichtigung dienen sollte. Sie war einmal dort gewesen, um ihren Drillingsbruder Ivo zu besuchen, und es hatte ihr überhaupt nicht gefallen – der einzige Mensch, dem das je so gegangen war, behauptete Chris.
Sie wischte sich die Hände, schleimig vom Maul des Ponys, an ihrem Morgenmantel ab. Das Tier, momentan befriedigt, trottete ruhig über die Koppel davon.
Sie waren so nahe der Stadt und der Praxis, nahe ihren Eltern und Simon, bei der Kathedrale, die ihr so viel bedeutete. Gleichzeitig lebten sie mitten auf dem Land, einem richtigen Bauernhof gegenüber, wo die Kinder Lämmer und Kälber sahen und beim Füttern der Hühner halfen; sie gingen gerne in ihre Schulen, hatten Freunde in der Nachbarschaft.
Nein, dachte sie und spürte die warme Sonne auf ihrem Rücken. Nein.
Aus dem Haus brüllte Felix. Aber Sam würde sich um ihn kümmern, Sam, sein Bruder, der ihn anbetete, im Gegensatz zu Hannah, die ihr Pony vorzog und während Felix’ erstem Lebensjahr eifersüchtig auf das Baby geworden war.
Cat wanderte um die Koppel, wusste, dass sie später am Tag müde sein würde, ärgerte sich aber trotzdem nicht über den unterbrochenen Nachtschlaf – Patienten zu versorgen, wenn sie am schutzlosesten waren, vor allem die Älteren und Verängstigten, hatte für Cat immer zu den Vorzügen einer Allgemeinpraxis gehört, und sie hatte nicht vor, den nächtlichen Bereitschaftsdienst einer Agentur zu überlassen, wenn der neue Vertrag in Kraft trat. Chris war anderer Meinung. Sie hatten sich zu oft darüber gestritten und vermieden das Thema inzwischen.
Um die knorrigen Äste des alten Apfelbaums hatte sich ein Trieb der weißen Rose gerankt, und der Duft wehte herüber, als Cat vorbeikam.
Nein, dachte sie erneut.
In den letzten zwei Jahren hatte es zu viele schlimme Tage gegeben, zu viel Furcht und Anspannung, doch jetzt, abgesehen von ihrer üblichen Besorgnis um ihren Bruder, war alles in Ordnung – bis auf Chris’ Unzufriedenheit und Gereiztheit, bis auf seinen Wunsch, etwas zu verändern, wegzuziehen, alles zu verderben … Ihre nackten Füße waren nass vom Tau.
»Mammmmiii. Telefooooon …«
Hannah lehnte sich im Obergeschoss viel zu weit aus einem Fenster.
Cat rannte.
Es war ein Morgen, an den die Menschen sich erinnern würden, an den silberblauen, klaren Himmel und den frühmorgendlichen
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