Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
I
Es war wie immer um die Mittagszeit, seit Jahr und Tag: Wenn er zurückritt zur Gutsverwaltung III, meist in leichtem Trab, oft aber auch im Galopp, daß unter den Hufen seines hohen braunen Pferdes die Erdklumpen in die Luft wirbelten, blickten die polnischen Landarbeiter kurz auf, umklammerten fester ihre Geräte, duckten sich dann tiefer in die Furchen und arbeiteten schneller, ohne den Kopf zu heben.
Und wie jeden Tag ritt er dann quer über die Felder, entlang an den Reihen der Arbeiter, hielt ab und zu an, schnauzte herum, blickte mit seinen harten Augen, über denen sich buschig die dicken Brauen wölbten, auf die gesenkten Köpfe und gebeugten Nacken und ließ die dünne lederne Reitpeitsche gegen seine hohen, weichen Juchtenstiefel klatschen.
Die Landarbeiter, bis auf ein paar Vorarbeiter alles Polen, in Dörfern wohnend, die dem Fürsten Pleß gehörten, auf Gütern arbeitend, die dem Fürsten Pleß gehörten, seit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß alles, was man sah und anfaßte, das Land, die Häuser, die Fabriken, die Molkereien, die Mühlen, die Wasserwerke, die Spiritusbrennereien, die Ställe und Mastanstalten, die Kühe, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Enten, überhaupt alles dem Fürsten Pleß gehörte, vielleicht sogar auch der Himmel über dem Fürstentum Pleß – diese Menschen, die sich eigentlich auch als Besitz des Fürsten Pleß fühlten, hoben erst dann wieder den Kopf, wenn der Reiter im schwarzen Reitrock und den hellbraunen Reithosen weitergaloppierte, schielten ihm aus den Augenwinkeln nach und atmeten auf.
Er hat nur gebrüllt, dachten sie zufrieden. Er hat nur seine üblichen Kraftausdrücke gebraucht. Und Wacek, der betrunken unter einem Busch schlief, hat er nicht gesehen. Glücklicher Wacek! Vier Mann hatten ihn mit ihren Körpern vor dem strengen Blick gedeckt, und zwei Mädchen hatten beim Rübenausrupfen gesungen, so laut, daß man Waceks Schnarchen nicht hören konnte. Nicht auszudenken, was ihm passiert wäre, wenn der ›Feldherr‹ ihn entdeckt hätte!
Sie nannten ihn alle ›Feldherr‹, obgleich er nie Offizier gewesen war. Der Titel hatte auch nichts mit dem Krieg zu tun. Er war nur ein Markenzeichen, gemischt aus Ehrfurcht und Angst, Respekt und ohnmächtiger Duldung: Dieser da, der Leo Kochlowsky, das strenge Herrchen mit der Reitpeitsche und den Augen, die alles sahen, war einer der Hauptverwalter der Fürstlich Pleßschen Güter hier unten in der äußersten Ecke von Schlesien, auf der rechten Oderseite, nördlich und westlich der Weichsel und westlich der Przemsa. 800 Quadratkilometer groß war das Gebiet, fast ein kleiner Staat für sich mit 93 Landgemeinden, 91 Gutsbezirken und 75 . 000 meist polnischen Einwohnern. Und dieser Leo Kochlowsky war der Herr der Felder, die an das Residenzschloß des Fürsten grenzten. Was er sagte, galt, was er anordnete, duldete weder Kritik noch Widerspruch, wen er strafte, der war wie vom Himmel gestraft, und wen er lobte, der hatte das Empfinden, eine Kerze in der nächsten Kirche anzünden zu müssen aus Dank für ein paar Augenblicke schönes Leben.
So war es nun einmal: Den Fürsten sah man selten, nur ab und zu zur Jagd oder wenn er mit Gästen in der Staatskarosse über Land fuhr oder bei der Parade der in der Kreisstadt Pleß in Garnison liegenden 2. Eskadron des Schlesischen Ulanenregiments von Katzler Nr. 2, was jedesmal zu Kaisers Geburtstag und am Gedenktag des Friedens von 1871 in Versailles der Fall war. Sonst sah man nur die Gutsinspektoren, die Beamten, die Vorarbeiter, die Handwerker und Fuhrleute, alle in Lohn und Brot des Fürsten stehend – und ja, eben Leo Kochlowsky, der Mächtigste, der Alleinherrscher im Gutsbezirk III, der ›Feldherr‹.
Was er auch tat, es war, als täte es der Fürst selbst. Undenkbar schien es den Leuten, daß auch er Vorgesetzte haben konnte, daß zwischen dem Fürsten und ihm noch eine Menge hoher Hofbeamten stand, der Oberrentmeister zum Beispiel oder der Generalverwalter, der Haushofmeister oder der Chef der fürstlichen Verwaltungsbehörden, der selbst ein Graf war.
Sie alle sah man nicht; man sah nur Leo Kochlowsky auf seinem starken braunen Gaul und duckte sich, wenn man ihm gegenüberstand.
Nicht, daß Kochlowsky eine Hünengestalt gewesen wäre, ein breitschultriger Riese mit muskelbepackten Armen. Er war eher mittelgroß, besaß stämmige Beine, aber feingliedrige Hände, hatte dichtes schwarzes Haar und einen bis zur halben Brust reichenden gestutzten,
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