Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Kleinschmidt?«, flüsterte sie.
»Mein Gott, Frau Uhland? Ist etwas passiert?«
»Bitte seien Sie nicht böse … Hoffentlich störe ich Sie nicht. Aber ich …« Judith schluckte. »Ich bin so enttäuscht«, sagte sie dann.
»Was ist los, Kindchen?«
»Alles ist los, und alles ist schiefgegangen.«
»Wieso denn? Wurden die Handwerker nicht fertig?«
»Doch, doch, sie wurden fertig. Und die Zimmer sahen so nett aus, und ich hatte mich so gefreut. Aber nun …«
»Nun?«
Judith setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Sie fühlte sich so leer und ausgehöhlt wie Steffis unheimlicher Kürbis, den sie als erstes ausgepackt und über ihre Lampe gestülpt hatte. »Claudia findet ihre alten Kindermöbel blöd, sie will neue haben«, sagte sie erschöpft. »Steffi bockt, weil ihr Zimmer so klein ist und keinen Balkon hat. Oliver will seine Hamster unbedingt alle im Souterrain unterbringen. Lilli will nicht, dass man sie Großmutter nennt, und Hubert stand die ganze Zeit mit seinem ›Siehstduwashabichdirgesagt-Gesicht‹ neben dem Wohnzimmerschrank und betrachtete mich, als sei ich ein kompletter Idiot. Wir konnten nicht grillen, weil es in Strömen goss, Claudia wollte Wein zum Essen, Steffi Sauerkirschensaft, Oliver Coca-Cola. Ich … ich habe solche Angst, dass ich es nicht schaffe.«
»Nun hören Sie mal. Hauen Sie mit der Faust auf den Tisch. Gegessen und getrunken wird, was da ist. Und Ihr Hubert sollte sich was schämen. Machen Sie jetzt einfach ein ›Nunerstrecht-Gesicht‹ und setzen Sie sich durch.«
»Das war nie meine Stärke, wissen Sie.«
»Dann müssen Sie’s lernen. Wie lange haben Sie noch Urlaub? Bis nächsten Mittwoch?«
»Ja. Gott sei Dank.«
»Na, dann auf in den Kampf. Ich habe vier Kinder großgezogen. Ich weiß, wovon ich rede. Es ist ein ständiger Kampf.«
»Ach Gott, hätte ich bloß Ihre Erfahrungen«, sagte Judith und seufzte abgrundtief. Sie verabschiedete sich, ging zurück ins Wohnzimmer und goss sich einen Cognac ein. »This is my day«, sang eine penetrant optimistische Frauenstimme. Der Regen prasselte immer noch gegen die Scheiben.
Ein neuer Morgen. Judith stand, leise vor sich hinsummend, in der Küche. Das Wetter hatte sich beruhigt, die Sonne blinzelte sehr schuldbewusst und verlegen durch eine hellgraue Wolkendecke, und die zerzausten kleinen Spatzen badeten bereits wieder in den Wasserpfützen. Das erste gemeinsame Frühstück, dachte sie. Da war er nun, dieser unschuldig neue Morgen, den sie herbeigesehnt, auf den sie gewartet hatte, der ihr Tun rechtfertigen und sie entschädigen sollte für all den Ärger, den Lilli und Hubert ihr bereitet hatten. Wieder sah sie die Kinder um den runden Tisch sitzen und mit funkelnden Augen ihren Kakao schlürfen. Sie stellte Butter, Honig und noch ofenwarmen Kuchen auf ein Tablett und lauschte. Ob sie noch schliefen?
Sie schliefen. Sie schliefen sehr lange. Judith trank inzwischen eine Tasse Kaffee und aß ein Brötchen.
Oliver war der erste, der erschien. Er trug Rasputin in der Hand und gähnte. »Kann ich ‘n Cola haben?«
»Auf nüchternen Magen? Meinst du, das ist gut für dich?«
»Ich trinke immer Cola am Morgen.«
»Habt ihr denn sonntags nie gemeinsam gefrühstückt?«
»Ne. Haben wir nicht. Claudia ist Langschläferin. Und Steffi ist schon unterwegs.«
»Was heißt, Steffi ist schon unterwegs?«
»Unterwegs halt, Tante Judith. Mit dem Fahrrad.«
Judith lief die Treppen empor. Tatsächlich. Steffis Zimmer war leer. Der unheimliche Kürbis grinste.
Sie klopfte an Claudias Tür.
»Claudia? Was hältst du von Frühstück? Ein gemütliches Sonntagsfrühstück … Wär das nichts?« Ihre Stimme klang forsch. Sie öffnete die Tür einen Spalt und ging dann hinein. Claudia lag im Bett und starrte zur Decke. »Soll das heißen, du möchtest, dass wir jetzt jeden Sonntag gemeinsam antanzen und auf Familie machen?«, fragte sie kühl, ohne ihre Augen von der Decke abzuwenden.
Judiths Herz klopfte schnell und dumm. »Wie hast du dir das vorgestellt?«, fragte sie leise. »Dass wir hier leben wie in einer Pension? Jeder kommt und geht, wie es ihm gefällt?« Claudia schwieg.
»Sieh mal«, begann Judith zögernd. »Ich weiß natürlich, dass ich euch niemals ersetzen kann, was ihr verloren habt. Aber wir könnten trotzdem versuchen, ein wenig zu einer Familie zusammenzuwachsen. Auch ich wünsche mir eine Familie, es wäre doch schön, wenn wir …«
»Warum hast du dann nicht geheiratet und dir selbst Kinder
Weitere Kostenlose Bücher