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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Jon der Präzise. Sie dachte an die Umwege ihres Lebens. Wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn sie im richtigen Moment das Richtige gesagt hätte? Wäre ihr vielleicht all das Unglück und das Leid erspart geblieben, wenn sie sich selber bewußtgemacht hätte, rechtzeitig, was sie wirklich wollte? Wenn sie zu Jon gegangen wäre, früh genug, und ihm ihre Liebe gestanden hätte? Ach, zu spät, zu spät. Vergangen. Nie vergessen.
    Sie ging auf ihren Begleiter zu, diesen jungen Mann, der da fragend vor ihr stand, die Hände in die Taschen seiner Kordhose gesteckt, den Kragen der Wildlederjacke hochgestellt, als brauchte er Schutz vor der Kälte des Nordens und des Daseins. «Natürlich will ich noch nicht zurück», sagte sie. «Wir sind ja gerade erst angekommen!»
    «Es sollte ja auch nur ein ...», er suchte nach dem richtigen Wort, «ein erster Eindruck sein. Wir können doch jederzeit wiederkommen. Jetzt, wo Sie ...» Er brach ab und schien mit einem langen Blick Eindrücke der Umgebung aufzusammeln. Täuschte sie sich, oder war er ein wenig rot geworden? Um ihm über die Verlegenheit hinwegzuhelfen, hakte sie sich kurzerhand bei ihm unter und zog ihn mit sich. «Wir gehen ein Stück den Hügel hoch. Dahinter ist ein kleiner Eichenwald. Den will ich mir auch ansehen. Früher jedenfalls», korrigierte sie sich, «war dort ein Eichenwald.»
    Eine Windbö fegte über sie hinweg. Das Laub am Ufer des Sees wirbelte hoch. Die Blätter tanzten. Das Wasser kräuselte sich, als wollte es sich über das ungleiche Paar mokieren, das dort auf den Feldsteinen stand.
    «Kommen Sie, junger Mann!»
    Sie sprangen von den Steinen hinunter, überquerten die Wiese und gingen den Feldweg langsam nebeneinanderher, schweigend. Im Wipfel eines Baumes krächzte eine Krähe. Gestört von den Spaziergängern schwang sie sich auf, erst flatternd, dann gemächlich fortfliegend, wie ein schwarzes, zerrissenes Tuch im Wind.
    «Vielleicht können wir auch in Luisendorf übernachten», meinte Isabelle nach einer Weile. «Gibt es eigentlich Schmidts Gasthof noch?»
    «Keine Ahnung!» Er zuckte mit den Schultern. «Ich war ja selber Ewigkeiten nicht mehr hier.»
    «Warum duzen wir uns eigentlich nicht?» Sie schaute ihn kurz von der Seite an. Das gleiche Profil, der schöne Kopf mit dem dichten, schwarzen Haar, das Kinn mit dem Grübchen. «Ich bin die Ältere. Ich darf das anbieten.»
    Sie blieb stehen und er auch, und beide spürten auf einmal, daß dies mehr war als ein Spaziergang und eine Erinnerung an längst vergangene Tage. Sie streckte ihm die Hand entgegen.
    «Isabelle», sagte sie fast ein wenig steif, «eigentlich Belle seit Jahrzehnten ... Jahrhunderten.»
    Sie lachten. Er ergriff dabei wie selbstverständlich ihre Hand. «Aber du kannst auch Isa sagen.»
    «Klingt kompliziert – Isabelle.» Er küßte sie flüchtig auf die Wange.
    Plötzlich wurde ihr bewußt, was diese Rückkehr an den Seerosenteich, nach Luisendorf, dem Platz ihrer Kindheit, für sie bedeutete. Ihr wurde klar, was dieser Mann, dessen Lippen ihre Haut zart berührten, für sie getan hatte. Ins Leben hatte er sie zurückgeführt. Von einem Punkt aus, an dem sie geglaubt hatte, es gäbe kein Morgen mehr für sie, kein Hoffen, kein Glück. Mut hatte er ihr gemacht, sie überredet, überzeugt, mitgenommen, mitgerissen, hierhergebracht. Nach Hause. Zurück zu den Wurzeln.
    Isabelle ließ seine Hand los. «Ich bin sehr glücklich, daß ich hier bin.»
    «Das ist gut», entgegnete er leise. «Das ist gut.»
    Sie sprachen nicht mehr, gingen weiter. Nachdem sie die Anhöhe erklommen hatten, tauchte vor ihnen das Eichenwäldchen auf, feuerrot im Licht der Sonne, wie entflammt. Es war alles wie früher. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Vielleicht sieht so die Zukunft aus, dachte Isabelle. Vielleicht kann doch noch alles gut werden.
    Sie ließen den Seerosenteich hinter sich und gingen dem glühenden Himmel entgegen.

Erster Teil
    1966
    Kapitel 1
    Johanna Kröger knotete hastig ihr Kopftuch zusammen, knöpfte auch den untersten Knopf ihrer Kittelschürze zu, stopfte die Hose in die schmutzigen Gummistiefel, nahm ihr Fahrrad, das gegen die Scheunenwand lehnte, stieg auf und raste los, die Dorfstraße hinunter. Gleich hinter Fenskes Hof bog sie links in den Feldweg ab, denn sie vermutete, daß die Kinder wieder am Hügel sein würden, am Seerosenteich.
    Der frühe Mai war mild und sonnig, alles leuchtete frisch und grün, es war die große Zeit der Birken, des

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